Was ist der Casimir-Effekt?

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Video
Alpha-centauri-154 casimir-effekt 320x180.jpg
Prof. Harald Lesch im Vortrag
Plattform youtube.com
Kanal Space Night
URL youtube.com/watch?v=_1kpzbc3Rl4
Datum 15.11.2017
Länge 14 Minuten, 36 Sekunden


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alpha-Centauri – Astronomie mit Prof. Harald Lesch
Folge 154 – Was ist der Casimir-Effekt?
Sendung vom 01. September 2004

Videoskript

Herzlich willkommen bei alpha-Centauri.

„… noch ein Gedicht“, hätte ich fast gesagt. Also eine Sendung, wo es wieder um Erfahrungen geht, die wir eigentlich gar nicht gemacht haben, von denen wir aber etwas wissen, weil andere Experimente gemacht haben, die uns etwas erzählen darüber, wie Dinge sind, von denen wir eigentlich gar keine Ahnung haben.

Das war ein Anfang, …

Also, es geht um das Nichts. Es geht um gar nichts. Also um etwas, das so leer ist, dass wirklich überhaupt nichts drin ist. Und doch übt dieses Nichts etwas aus, nämlich eine Kraft. Und diese Kraft, die hat offenbar eine ganz, ganz wichtige Rolle gespielt bei der Entwicklung des Universums.

So weit kann ich jetzt schon einmal gehen. Die Sendung müsste eigentlich heißen … – aber sie heißt: „Was ist der Casimir-Effekt?“.

Der Casimir-Effekt, meine Damen und Herren, ist etwas ganz merkwürdig Merkwürdiges und bringt uns lustigerweise vom Nichts zum Alles.

Der Casimir-Effekt verrät uns etwas darüber, welche Kraft das Nichts hat, das absolute und totale Nichts, das wirklich – also, wie soll ich das ausdrücken … Ich weiß gar nicht: „nichtser“ als nichts, nichtiger als …

Was ist das Nichts?

Physikalisch gesprochen, reden wir natürlich vom Vakuum. Das Vakuum in der Physik ist ein Zustand eines Systems. Und da kriegen wir schon Probleme, denn ein System hat ja Ränder. Also die Ränder lassen wir erst mal weg. Wir nehmen mal nur den Innenteil eines Systems, das völlig leer ist – frei von allen chemischen Elementen, frei von jeglicher Strahlung, frei von allem. Da soll überhaupt nichts drin sein, gar nichts.

Ja, das kann ja gar nicht so sein, denn wir wissen ja, nun ja, wir haben diese Ränder noch da außen darum herum. Diese Ränder haben natürlich eine gewisse Temperatur. Und diese Temperatur macht uns Probleme. Also kühlen wir die Ränder ab, indem wir das Ganze in ein System hineinstellen, das noch größer ist. Leider Gottes hat dann dieses größere System natürlich eine Temperatur, so dass diese inneren Wände dann doch wieder Temperatur bekommen werden, so dass möglicherweise unser angestrebtes Nichts dann doch wieder …

Das ist sehr, sehr schwierig, jetzt klar zu kommen, weil – ich rede eigentlich über etwas, was es nicht geben kann.

Denn die Quantenmechanik, und da sind wir wieder in diesem Bereich der menschlichen Erfahrungen, die wir eigentlich gar nicht gemacht haben, aber der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Die Quantenmechanik sagt uns, dass selbst dort, wo nichts ist, überhaupt nichts, es immer noch Vorgänge gibt, die passieren können, dass nämlich Vakuumfluktuationen auftauchen können – Schwankungen des Nichts, die eben mal für eine ganz kurze Zeit sich in Teilchen-Antiteilchen-Paaren realisieren und dann wieder zu nichts werden, nämlich zu Strahlung werden.

Also, das ist so nach dem Motto: Bin ich oder soll ich, oder soll ich oder bin ich – also dieser ständige Wechsel von Energie zu Masse und Masse wieder zurück.

Das ist nicht einfach. Das ist sogar extrem schwierig, einen Zustand zu beschreiben, der offenbar nichts mit dem zu tun hat, was unsere Erfahrungen in irgendeiner Art und Weise wiedergeben, nichts. Nichts davon, was wir so kennen – unsere Gefühle, unsere Sinne. Alles das hat damit überhaupt nichts zu tun.

Und doch übt dieses Vakuum eine Kraft aus. Also Aristoteles hat schon den Begriff des „horror vacui“ geprägt: Dass also die Natur eigentlich Angst vor dem Nichts hat und dass überall da, wo nichts ist, eben etwas hinströmt – sei es nun Luft oder Wasser oder was auch immer.

Im Mittelalter hat der Otto von Guericke zum ersten Mal einen großen wissenschaftlichen Event sozusagen kreiert, indem er also zwei Halbkugeln gehabt hat: Die waren zusammengeschraubt, dann wurde die Luft darin abgepumpt, dann wurden die Schrauben weggenommen und an jeder Seite wurden acht Pferde genommen. Und diese acht Pferde sollten nun versuchen, diese beiden Halbkugeln auseinanderzuziehen. Und es gelang ihnen nicht – also 16 Pferde insgesamt zogen an dieser Kugel, und es gelang ihnen nicht, sie auseinanderzuziehen.

Offenbar hat das Vakuum eine Kraft.

Aber dieses Vakuum von von Guericke, nämlich diese abgepumpte Luft oder dieser Hohlraum, dem die Luft ein bisschen abgepumpt war, das ist nichts im Vergleich zu dem Vakuum, von dem jetzt die Rede ist.

Wir können heutzutage im Labor tatsächlich, sagen wir mal, einen Zustand kreieren, der sehr, sehr niedrige Temperaturen hat und in dem sonst nichts mehr ist außer der Strahlung von dieser sehr niedrigen Temperatur.

Und wenn man jetzt einen Versuch macht mit zwei leitenden Metallplatten, also Metallplatten von jeweils, sagen wir mal, einem Quadratzentimeter Fläche und bringt die 0,005 Millimeter zusammen, dann passiert etwas ganz Merkwürdiges: Es gibt eine Kraft, die diese beiden Platten anzieht. Diese Kraft entspricht einem Gewicht von ungefähr zehn Staubkörnchen – 0,2 Milligramm.

Und das ist nicht die Gravitation dieser beiden Platten, sondern das ist etwas ganz anderes. Hier spielt sich etwas ganz anderes ab.

Ein Körper der völlig leer ist, ein System das völlig leer ist – Körper darf ich nicht sagen – ein System, das völlig leer ist, hat also immer noch diese Fluktuationen, diese Quantenfluktuationen, Vakuumfluktuationen in sich drinnen.

Und jetzt wird es ganz kompliziert: Fluktuationen sind also Schwankungen – ich mache schon mal so eine Bewegung, weil das brauchen wir gleich – sind also Wellen, elektromagnetische Wellen eigentlich, sind Quantenzustände, Hohlraumstrahlung, die sich zwischen diesen beiden Platten, diesem Hohlraum existieren.

Welche können denn da existieren?

Da die beiden Platten metallische Oberflächen haben, können zwischen diesen beiden Platten nur genau solche Wellen existieren, deren Knotenpunkte – also genau da, wo eine ganze Schwingung oder ein Wellenberg hineinpasst oder ein doppelter Wellenberg – wo also die Knotenpunkte da, wo die Welle nicht ist, die muss genau da reinpassen.

Also noch mal: Wenn ich also hier – nehmen Sie mal an, ich/wir haben also hier eine Platte und da eine Patte – dann kann ich jetzt zwischen diese beiden Platten nur Schwankungen einer ganz bestimmten Wellenlänge hineinkriegen und sonst nichts. Die Knoten müssen genau auf diesen Platten liegen. Dort an den Platten muss das Feld der Schwankungen verschwinden. Das Feld, das heißt, das elektromagnetische Feld muss verschwinden da.

Woher kennen wir das?

Das kennen wir, weil wir zum Beispiel auf Metallplatten Licht jagen können. Das Licht wird dort reflektiert. Dieses reflektierte Licht übt auf die Platten einen Druck aus.

Das kennen wir im Labor. Ganz einfach. Da brauchen wir erst mal gar kein besonderes Experiment. Aber in unserem Experiment jetzt ist es natürlich so, dass diese Schwankungen zwischen den Platten eine Kraft ausüben auf diese beiden Platten.

Und jetzt kommt es: Nicht nur innerhalb der beiden Platten gibt es Vakuumschwankungen, sondern auch außerhalb. Da aber der Raum außerhalb der beiden Platten viel größer ist, ist also die Anzahl der realisierbaren Quantenschwankungen der Vakuumfluktuation viel größer als innerhalb.

Es gibt also einen Unterschied im Bereich der Möglichkeiten sozusagen – außen gibt es mehr Möglichkeiten als innen. Und dieser Unterschied in den Quantenfluktuationen führt dazu, dass tatsächlich diese beiden Platten zusammengedrückt werden.

Es ist ein bisschen so wie von heiß nach kalt – Energie strömt von der hohen Temperatur zur niedrigen Temperatur.

Das heißt, wenn wir hier jetzt – und das ist im Labor genau gemessen worden, dieser Effekt – Casimir-Effekt ist von dem holländischen Physiker Casimir 1948 errechnet worden und bereits 10 Jahre später genau ausgemessen worden.

Eine Kraft, die ist proportional zum Planckschen Wirkungsquantum, zur Lichtgeschwindigkeit, zur Fläche – also zur Querschnittsfläche der Platten – und umgekehrt proportional zur vierten Potenz des Abstandes.

Das heißt, wenn man etwas sehr, sehr nahe zusammenbringt, dann wird diese Kraft noch stärker. Sie wird also wirklich richtig stark im Bereich von Nanometern. Ganz klar: In dem Bereich der allerkleinsten Längenskalen ist die Casimir-Kraft ganz wichtig. Die wurde also tatsächlich gemessen.

So, okay. Also, sind Sie noch da? Es ist nicht einfach, ich weiß es. Aber ich bin ja bei Ihnen.

Also, zwischen diesen beiden Platten gibt es weniger Fluktuationen als außerhalb. Das heißt, die beiden Platten werden zusammengedrückt – wir haben eine Kraft. Und wenn eine Kraft etwas verursacht, dann wird ja Energie aufgebracht. Denn Sie wissen ja, Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Und hier wird ja Arbeit geleistet – diese beiden Platten werden ja zusammengedrückt. Das heißt, der Zustand außerhalb der beiden Platten muss energetisch größer, muss energetisch günstiger sein als der Zustand zwischen den Platten.

Hier herrscht ein Energieungleichgewicht. Und dieses Energieungleichgewicht besteht offenbar darin, weil diese beiden Platten da drin sind. Denn wenn wir die Platten herausnehmen, würde keine Arbeit geleistet werden.

Das heißt, durch die Existenz der beiden Metallplatten ändert sich das Vakuum. Ja, ja – so ist es.

Und zwar wird das Vakuum in gewisser Weise leerer dadurch, dass die Platten da sind. Ja, weil zwischen den beiden Platten eben viel weniger Möglichkeiten für das Vakuum da sind, sich zu realisieren, als außerhalb der Platten.

Kurzum, das Vakuum kann einen Druck ausüben, und zwar durch die Schwankungen, die sich in ihm abspielen. Das Vakuum kann einen Druck ausüben – das muss man sich einmal überlegen.

Und jetzt – was machen wir jetzt damit?

Naja. Also der Casimir-Effekt ist ein Effekt, der uns etwas darüber berichtet, dass das Vakuum tatsächlich Kräfte ausüben kann. Das Nichts übt eine Kraft aus.

Gibt es doch in vielen anderen Bereichen der Physik, wo das Vakuum eine Rolle spielt, zum Beispiel hier für die Experten am Bildschirm: die Lamb-Shift ist eine solche Sache, also die Verschiebung einer Spektrallinie um einen winzig kleinen Anteil. Das hat ein bisschen was damit zu tun, dass also die Elektronen in einem Atom nicht nur mit dem Feld des Atomkerns wechselwirken, sondern auch noch mit dem Vakuum.

Das ist ein bisschen so, wie wenn sie einen Bleistift auf eine Spitze stellen. Ja, wenn sie den stehen lassen, da fällt er eben sofort um. Winzig kleinste Schwankungen führen sofort dazu, dass der Bleistift umfällt.

Und so ist es bei den Elektronen tatsächlich im Atom auch. Schwankungen im Vakuum führen dazu, dass die Elektronen etwas andere Energieniveaus einnehmen. Und dadurch kommt es zu gewissen Verschiebungen der Spektrallinien. Die kann man nur erklären durch die Existenz von Vakuumfluktuationen.

Das heißt, das kennen wir tatsächlich. Wir wissen, das Vakuum übt eine Kraft aus.

Und jetzt in die Kosmologie.

Was haben wir denn geglaubt früher? Früher haben wir geglaubt: Ach Herrgott, das Universum ist voller Materie. Und Materie hat eben mal den Effekt, Dinge wieder zurückzuziehen durch die Schwerkraft. Die Schwerkraft hat etwas mit Materie zu tun. Also, Energie ist gleich mc2. Materie ist Energie.

Klar. Das heißt also, wenn ich weiß, wie viel Materie im Universum ist, dann weiß ich auch, mit welcher Geschwindigkeit sich das Universum ausbreiten kann. Man dachte ja, in der Materie. Gut, hatten wir das Problem, leuchtende Materie reicht nicht. Nehmen wir noch die Dunkle Materie dazu. Und damit hätte man im Prinzip ein Universum geschaffen. Gut, das ist so einigermaßen klamm.

Man weiß zwar nicht so genau, was die Dunkle Materie ist. Aber im Großen und Ganzen hätte man dann verstanden, worum es geht: nämlich Materie im Universum und das Universum expandiert.

Jetzt ist aber seit einigen Jahren klar, dass das so gar nicht ist. Materie im Universum, das sind nur 30 Prozent des Energieinhalts des Universums. 70 Prozent des Energieinhalts des Universums, da spricht man von so genannter Dunkler Energie. Und man meint, sie mit den Vakuumfluktuationen zusammenbringen zu können.

Als das Universum sehr, sehr jung war, da steckte die meiste Energie in der Strahlung. Das Universum kühlte sich ab, die Energie steckte mehr und mehr in der Materie. Und seit ungefähr sieben Milliarden Jahren, so wissen wir von heute, denn wir haben zum ersten Mal die beschleunigte Expansion des Universums bei einer Rotverschiebung entdeckt, die einer Entfernung entspricht von sieben Milliarden Lichtjahren. Das heißt, wir sehen dort etwas, was sieben Milliarden Jahre alt ist. Also vor sieben Milliarden Jahren begann das Universum, beschleunigt zu expandieren.

Offenbar übernahm die Vakuumenergiedichte die Rolle für die Expansion des Universums, die wesentliche Rolle.

Und tatsächlich ist es so, dass bei Supernovae, die noch älter sind, die Expansionsgeschwindigkeit des Universums niedriger war. Das heißt, damals war das Universum in seiner Expansionsgeschwindigkeit, die Expansionsgeschwindigkeit war kleiner. Und erst seit sieben Milliarden Jahren beschleunigt es sozusagen seine Expansion.

Und diesen Effekt, den meint man heute dem Vakuum zuordnen zu können, der sich zum Beispiel beim Casimir-Effekt realisiert, wo wir wissen, es ist da. Das Problem ist nur, und jetzt kommt’s – da werden wir noch viele alpha-Centauri-Sendungen darüber machen können –, der Unterschied zwischen der Vakuumenergiedichte, die wir ausrechnen können, und der Vakuumenergiedichte, die wir im Universum brauchen, sind 120 Größenordnungen – 120!

Na, das ist auch für den öffentlichen Dienst und die Forschung ist … das ist ein Problem.

Das heißt, wir sind offenbar weit davon entfernt zu verstehen, wie das gesamte Universum sich entwickelt hat, woher diese Vakuumenergie, diese Energiedichte kommt, zumal diese Energie ja offenbar nicht mit Masse zusammengebracht ist.

Denn erinnern Sie sich: Hier geht es nicht um Masse. Die Anziehung der beiden Platten beim Casimir-Effekt, da ist Energie – aber das hatte nichts mit Masse zu tun, ja. Da gibt es offenbar eine Form von Energie, die dazu führt, dass das Universum expandiert und nicht wie bei der Masse, dass es zusammengezogen wird.

Das sind alles so Dinge, die mit unseren Erfahrungen ja überhaupt nichts zu tun haben. Und wir müssen teilweise wirklich an unseren physikalischen Wahrheiten zweifeln.

Vielleicht hat Friedrich Nietzsche recht gehabt, als er mal gesagt hat: „Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind“.