Die Fusion vollzieht sich heiß und kalt

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The Breakthrough Institute
Jonah Messinger
18. Mai 2023
Zum Originalartikel

Wieso die Wissenschaft die Kalte Fusion über drei Jahrzehnte lang missverstanden hat


Beim Thema Kalte Fusion können sich selbst gestandene Wissenschaftler zumindest ein Grinsen nicht verkneifen. Als dritter Pfeiler der Physik, der oft als „pathologische Wissenschaft“ verunglimpft wird, zieht die Kalte Fusion sowohl von Wissenschaftlern als auch von Journalisten regelmäßig den größten Spott und die schlimmste Verachtung auf sich. Bis Anfang 2022 hatte auch ich dieses Verständnis verinnerlicht, dass es sich nämlich bei der Kalten Fusion um eine Art Pseudowissenschaft handelt, die ohne jede technische Grundlage verkündet wird. Doch das ist schlichtweg falsch.

Meinen Einstieg in das Thema lieferte ein Artikel in Nature Perspective, der eine von Google geleitete Forschungsarbeit zusammenfasste, welche „the cold case of cold fusion“ (den kalten Fall der Kalten Fusion) einer Revision unterzog. Der Artikel schloss, ohne einen Beweis für die Kalte Fusion erbracht haben zu können, hob jedoch einige interessante Aspekte der Kernphysik im niederenergetischen Bereich hervor und öffnete mir so die Augen für ein Fachgebiet, das ich bis dahin nicht ernst genommen hatte. Dieser Artikel, die Diskussionen mit einigen seiner Autoren sowie eine eingehendere Untersuchung des Fachgebietes wiesen alle auf eine einzige Schlussfolgerung hin: Die Kalte Fusion abzuschreiben, nur weil sie nicht ohne Weiteres mit den etablierten Rahmenwerken der Kerntechnik übereinstimmt, ist unwissenschaftlich, zutiefst unaufrichtig und steht in krassem Gegensatz zu einer großen Anzahl von überzeugenden empirischen Beweisen.

Im März 2023 verkündete die Innovationsabteilung des US-Energieministeriums (DOE), die Advanced Research Project Agency - Energy (ARPA-E), die Vergabe von Forschungsgeldern an acht Preisträger zur Erforschung der Niederenergetischen Kernreaktionen (LENR) – der vom DOE und der Fachwelt bevorzugte Begriff für die Kalte Fusion. (Ich selbst gehöre zu einem der prämierten Teams, welches am MIT angesiedelt ist. Eine Version unseres Förderungsmanuskripts haben wir interessierten Parteien zur Verfügung gestellt). Diese Entwicklung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: Zum ersten Mal seit 30 Jahren finanziert das DOE die Forschung zur Kalten Fusion. Es ist nun an der Zeit, dass die breitere wissenschaftliche Gemeinde und der Boulevardjournalismus das offenkundige Stigma, das diesen Bereich plagt, ablegen und mit Washington gleichziehen.

Und dennoch – über die ganze Zeit der letzten 30 Jahre bis zum heutigen Tag kann man es kaum wagen, ein ernsthaftes Gespräch über LENR zu führen. Jegliche Unklarheit über das Ausmaß, in welchem alle Standards an Kollegialität über Bord geworfen wurden, wenn es um die Arbeit von Wissenschaftlern in Sachen LENR ging, sollte durch diesen Beitrag für WIRED von Virginia Heffernan – einer Journalistin und Kulturkritikerin – vom Anfang dieses Jahres ausgeräumt sein. Heffernan sah sich veranlasst, in einem Artikel über die aufregende Verkündung durch die National Ignition Facility, wonach es bei der „Heißen Fusion“ gelungen sei, den Durchbruch in der Energiegewinnung zu erreichen, ohne ersichtlichen Grund gegen die Kalte Fusion und deren Forscher zu wettern, indem sie diese mit einer „gekränkten Kleinstsekte“ verglich, ähnlich den „Antivax-Ärzten“. Bis zum heutigen Tag hat Virginia Heffernan nicht auf meine Kritik und mein offenes Angebot reagiert, ihr das stringente LENR-ARPA-E-Forschungsprojekt zu erläutern, das von mir und meinen Kollegen betrieben wird.

Das Phänomen der Kalten Fusion – damals und heute


Die Geschichte von der Kalten Fusion ist weitgehend missverstanden worden, ebenso wie die Wissenschaft, die diesem Bereich zugrunde liegt. Im März 1989 hielten zwei hochqualifizierte Elektrochemiker an der Universität von Utah, Martin Fleischmann und Stanley Pons, eine Pressekonferenz, auf der sie behaupteten, Fusionsreaktionen von Deuteriumkernen (Deuteronen genannt, ein schweres Wasserstoffisotop mit einem zusätzlichen Neutron) in einer Palladiumfolie ausgelöst zu haben. Das Palladium diente dabei als Kathode in einer Elektrolysezelle, in welcher Schweres Wasser (also H2O, bei dem das H im Wassermolekül durch Deuterium ersetzt ist) als Elektrolyt verwendet wurde. Wenn nun ein Strom angelegt wurde, um die Elektrolyse in Gang zu setzen, wurden die Deuteronen vom Palladium absorbiert und es bildete sich ein Metalldeuterid.

Inspiriert von längst vergessenen Berichten über anomale Experimente in den 1920er Jahren, bei denen es zu einer Art von kalter Fusion kam, haben sie mehrere Experimente zur Elektrolyse durchgeführt, bei denen sie über Wochen hinweg mehrere starke, tagelange Wärmeausbrüche verzeichneten, die weit über das hinausgingen, was an elektrischer Leistung über den Eingangsstrom zugeführt wurde und auch weit über das, was potenziell an Bindungsenergie in den chemischen Verbindungen des verwendeten Elektrolyten gespeichert gewesen sein konnte. Sie maßen diese so genannte Überschusswärme mit Hilfe der Kalorimetrie – einem Verfahren zur Quantifizierung der Gesamtwärmemenge, die aus einer Probe austritt. Fleischmann und Pons kamen zu dem Schluss, dass die in ihren Experimenten erzeugte Überschussenergie zu groß war, um chemischen Ursprungs zu sein, und schlugen stattdessen die Deuteron-Deuteron-Fusion (D–D) als Quelle vor. Seltsamerweise konnten sie jedoch keine Strahlung feststellen, wie sie zu erwarten gewesen wäre. Beide Forscher räumten ein, dass eine Erklärung für einen derartigen nuklearen Mechanismus nur schwer zu ergründen sei.

Ihre Behauptungen riefen prompte und heftige Kritik hervor.

Zum einen hatten Fleischmann und Pons ihre Ergebnisse auf einer Pressekonferenz verkündet und nicht im Rahmen einer von Fachleuten begutachteten Veröffentlichung, die dann erst Anfang 1990 erfolgte, ein Jahr nach einer im Frühjahr 1989 veröffentlichten vorläufigen Mitteilung.

Zweitens führte Steven Jones, ein Forscher an der nahe gelegenen Brigham Young University (BYU), etwa zur gleichen Zeit ähnliche Experimente zur Kalten Fusion durch. Beide Teams hatten vereinbart, ihre Ergebnisse gemeinsam in Nature zu veröffentlichen. Die Pressekonferenz von Fleischmann und Pons fand allerdings schon acht Tage nach ihrer Vereinbarung statt. Einige Beobachter machten für ihre Eile den Druck verantwortlich, den die Verwaltung der Universität von Utah ausübte, was plausibel erscheint. Obwohl Jones somit verbrannt war, reichte er seine Ergebnisse dennoch bei Nature ein und setzte in den folgenden Jahren eine sehr überzeugende experimentelle Kampagne fort, bei der er eindeutige Neutronenemissionen über dem Hintergrund von Metalldeuteriden nachwies.

Ein dritter Punkt betraf das von Fleishmann und Pons berichtete Gammaspektrum, das in dem Buch Fusion Fiasco von Steven Krivit treffend zusammengefasst ist. Üblicherweise werden bei der D-D-Fusionsreaktion Neutronen emittiert, welche, wenn sie durch die Protonen des in einem Kalorimetriesystem verwendeten Wassers aufgehalten werden, charakteristische Gammastrahlen (≈ 2,2 MeV) aussenden, welche dann als sekundärer Beleg für D-D-Fusionsneutronen nachgewiesen werden können. Die ursprüngliche Fassung der vorläufigen Mitteilung von Fleischmann und Pons führte ein partielles Gammaspektrum mit einer Spitze bei ≈ 2,5 MeV auf, die mit einem Kontrolldetektor gar nicht nachgewiesen werden konnte. Nachdem Fleischmann auf einem Seminar auf diese Energiediskrepanz hingewiesen worden war, wurde das Manuskript vor der Veröffentlichung dahingehend geändert, dass die Gammaspitze nun mit 2,2 MeV ausgewiesen wurde, was für eine Fachzeitschrift schon eine höchst regelwidrige Berichtigung darstellt, wenn dies ohne eine Erklärung zugelassen wird.

Wissenschaftler des Plasma Science and Fusion Center des MIT veröffentlichten eine scharfe Kritik, in der sie feststellten, dass die Strahlungsspitze mit 2,2 MeV doppelt so schmal war wie aufgrund der beobachteten Hintergrundspitzen zu erwarten war und dass dem Spektrum eine Comptonkante fehlte, ein Merkmal der Physik der Gammastrahlenwechselwirkung mit dem Kristalldetektor. Sie schlossen daraus, dass die identifizierte Spitze kein sekundärer Beweis für die Gammastrahlung von D-D-Fusionsneutronen sein konnte. Fleischmann und Pons reagierten daraufhin in Nature mit der Veröffentlichung ihres vollständigen Spektrums, wobei sie die vermeintliche Gammaspitze oberhalb des Hintergrundes wieder bei den ursprünglichen ≈ 2,5 MeV ansiedelten und die zuvor fehlerhafte Spitze bei 2,2 MeV einräumten, welche sie als Ergebnis einer von ihnen verwendeten Skalierungs- und Interpolationsformel erklärten. Sie behaupteten jedoch, dass die Gammaspitze ein Beweis für eine unerklärte Kernreaktion sei, da die Gammaspitze in den Hintergrunddaten nicht auftaucht und beim Entfernen ihrer Elektrolysezelle im Spektrum verschwindet. In derselben Ausgabe von Nature stellte die MIT-Gruppe die Energie-Kalibrierung in Frage und behauptete, dass die fragliche Gammaspitze wahrscheinlich bei ≈ 2,8 MeV lag, und schrieb sie und andere hochenergetische Hintergrundspitzen als instrumentelle Artefakte ab.

Der federführende Autor des MIT-Teams erklärte später: „Sie glaubten vermutlich an das, was sie taten. Aber wie sie es dargestellt haben, verstieß eindeutig gegen wissenschaftliche Grundsätze“. Die ganze Gammastrahlengeschichte war schlampig. Fleischmann selbst bezeichnete sie als „Unsinn“ – doch möglicherweise waren er und Pons auf der richtigen Spur. Die Erwartung, dass bei der Kalten Fusion die gleichen Reaktionsprodukte entstehen würden wie bei der konventionellen Fusion und folglich auch die so wichtigen 2,2 MeV-Neutronen, ist völlig unbegründet.

Das letzte Problem mit der Arbeit von Fleishmann und Pons besteht darin, dass aufgrund der mangelnden Reproduzierbarkeit der Überschusswärme in Verbindung mit dem Fehlen einer theoretischen Erklärung das Interesse der breiten Öffentlichkeit an der Kalten Fusion erlosch. Im Mai 1989 – keine fünf Wochen nach den ersten Behauptungen – wurde das Forschungsfeld von acht der neun Hauptredner auf der einflussreichen Mai-Tagung der American Physical Society (APS) für tot erklärt. Einer der einflussreichsten Redner, Steven Koonin, damals Professor für theoretische Physik am Caltech, der heute eher für seine Zurückweisung der Auswirkungen des Klimawandels bekannt ist, verkündete spöttisch, dass „wir unter der Inkompetenz und vielleicht auch dem Wahn von Dr. Pons und Fleischmann zu leiden haben“. Im Herbst dieses Jahres sprach sich das DOE-Gremium zur Bewertung der Kalten Fusion gegen ein staatlich finanziertes Forschungsprogramm zur Kalten Fusion aus – räumte aber ein, dass einige Beweise (z. B. die Bildung von Neutronen und Tritium) nicht so einfach von der Hand zu weisen seien.

Obwohl der Großteil der wissenschaftlichen Gemeinde die Kalte Fusion bereits nach wenigen Monaten abgeschrieben hatte, häuften sich in den folgenden Monaten und Jahren die wissenschaftlichen Beweise für objektiv nukleare Reaktionsprodukte (z. B. Neutronen, Gammastrahlen und Tritium). Selbst einige Skeptiker konnten die Daten nicht ignorieren, und kritische Wissenschaftler räumten gelegentlich sogar ein, dass „Phänomene vorlagen, die uns [dem ersten DOE-Gremium] beschrieben wurden und für die es keine alternativen Erklärungen gab …“. Dies wirft die Frage auf: „Was ist, wenn die Kalte Fusion tatsächlich existiert?

Im Jahr 2004 erklärte sich das DOE bereit, die Kalte Fusion angesichts der im letzten Jahrzehnt gesammelten Beweise erneut einer Prüfung zu unterziehen. Führende LENR-Wissenschaftler fassten die Forschungsergebnisse in einem Bericht zusammen. Die Reaktionen der Gutachter waren gemischt, und das DOE erklärte, es sei prinzipiell bereit, qualitativ hochwertige Forschungsanträge zu finanzieren. Doch bis zum März dieses Jahres (2023) wurde noch kein einziges LENR-Projekt durch die Behörde finanziert.

Und das, obwohl Edward Teller und die mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Physiker Julian Schwinger und Brian Josephson die LENR-Forschung ausdrücklich unterstützen. In der Tat war Schwinger davon derart überzeugt, dass die Weigerung der APS, seine Arbeiten über die Kalte Fusion in ihren Zeitschriften zu veröffentlichen, ohne diese angemessen in Betracht zu ziehen, ihn dazu veranlasste, seine prestigeträchtige APS-Mitgliedschaft mit den Worten zu widerrufen: „Der Druck zur Konformität ist enorm … die Ersetzung einer unparteiischen Überprüfung durch eine Zensur bedeutet den Tod der Wissenschaft.“

Fleischmann und Pons gerieten damals vollkommen zu Unrecht zum Aushängeschild für eine betrügerische oder „pathologische Wissenschaft“, eine Unterstellung, die zuerst vom CERN-Physiker Douglass Morrison vorgebracht wurde. Doch man muss sich ganz und gar nicht auf die Ergebnisse von Fleischmann und Pons verlassen, um dennoch von der Existenz des LENR-Effektes überzeugt zu sein. Die überzeugendsten Beweise für LENR haben im Grunde genommen noch nicht einmal etwas mit Überschusswärme zu tun.

Was sind die häufigsten Kritikpunkte an der Kalten Fusion?


Das offensichtliche Gegenargument lautet: Wie sollte es möglich sein, dass eine kleine Gruppe von LENR-Forschern in diesem Nischenbereich Recht behält, während die gesamte Physikgemeinde sich seit über 30 Jahren auf dem Holzweg befindet? Dies stellt sicherlich eine berechtigte Frage dar, die es verdient, ausführlich untersucht zu werden.

Im Großen und Ganzen lassen sich solche Kritiken an der Kalten Fusion in zwei Gruppen einteilen. Zum einen seien die Behauptungen zur Kalten Fusion in tautologischer Weise unvereinbar mit der herrschenden Theorie zur Kernphysik. Zum anderen handele es sich um anomale Experimente, die nur schwer zu reproduzieren sind.

Die Kalte Fusion sieht sich mit zwei speziellen theoretischen Problemen konfrontiert. Bei Fusionsreaktionen von positiv geladenen Wasserstoffkernen muss die Coulombbarriere – die elektrostatische Abstoßung gleicher Ladungen – überwunden werden, wofür Teilchenenergien von mindestens ≈ 2 Kiloelektronenvolt (KeV) aufgebracht werden müssen. Bei der konventionellen „Heißen Fusion“ erreicht man dies dadurch, dass die Temperatur des Wasserstoffplasmas auf Dutzende oder sogar Hunderte von Millionen Grad angehoben wird, um so die Wasserstoffkerne nahe genug zusammenzubringen, so dass die starke Kernkraft die Coulomb-Abstoßung überwinden kann. Wie also sollte die Coulombbarriere überwunden werden können, um schon bei Raumtemperaturen beobachtbare Fusionsraten zu erzielen?

Außerdem werden Plasmafusionsreaktionen schon seit Jahrzehnten sowohl im Labor als auch in den Sternen untersucht. Vereinfacht ausgedrückt, wissen wir, welche Elementarteilchen bei welchen Energien und in welchen Anteilen bei den unterschiedlichsten Fusionsreaktionen zu erwarten sind. Konventionell lassen sich bei der D–D-Fusionsreaktion drei Pfade mit relativen Wahrscheinlichkeiten – den so genannten Verzweigungsverhältnissen – unterscheiden (siehe Abbildung 1). Bei den Experimenten zur Kalten Fusion treten zwar eine Reihe von Strahlungsemissionen auf, jedoch niemals alle zu erwartenden Strahlungsprodukte, und schon gar nicht in den zu erwartenden Proportionen und absoluten Mengen. Wenn bei diesen Experimenten also eine Kalte Fusion stattgefunden haben soll, wo finden sich dann die zu erwartenden Kernprodukte?

In der Tat wurde einmal ein Physiker von Caltech in Bezug auf das Experiment von Fleischmann und Pons mit der Aussage zitiert: „Das ist alles Blödsinn … wenn es wahr wäre, dann wären die beiden jetzt tot.“ Gemessen an der behaupteten großen Wärmeentwicklung hätten die Neutronenflüsse aus dem [math]D + D \to He \texttt{-} 3 + n[/math] ‑Zweig eigentlich tödlich sein müssen. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine durchaus berechtigte Sorge, und das Fehlen der zu erwartenden Fusionsreaktionsprodukte scheint wirklich bedenklich zu sein – doch bei näherer Betrachtung erweist sich dieser Einwand als zutiefst unbegründet.

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Abbildung 1: Diagramm der Verzweigungsverhältnisse der D–D-Fusionsreaktion und ihrer Eigenschaften

Ausgehend von den grundlegenden Prinzipien besteht für diese speziellen Reaktionspfade und Verzweigungsverhältnisse überhaupt keine Notwendigkeit. Die grundlegenden physikalischen Prinzipien, denen die Kalte Fusion Genüge tun muss, bestehen in der Erhaltung der Energie, des Impulses sowie verschiedener Teilchen- und Quantenzahlmerkmale. Lässt man beispielsweise eine Murmel in ein leeres Glas fallen, gibt es einen lauten Aufprall. Ist dasselbe Glas jedoch mit Wasser gefüllt, gibt die Murmel ihre Energie an die Flüssigkeit ab, so dass der Aufprall weit weniger stark zu hören ist. In ähnlicher Weise kann auch ein Metallgitter die nukleare Bindungsenergie aus einer Fusionsreaktion im Prinzip über Gitterschwingungen absorbieren, anstatt diese Energie über hochenergetische Teilchen (d. h. den lauten Aufprall) freizusetzen, so wie dies bei der plasmabasierten Fusion der Fall ist.

Zwar entstehen bei Fusionsreaktionen in metallischen Targets schon bei niedrigen Energien konventionelle Produkte, doch ist es keineswegs undenkbar, dass es unter bestimmten Bedingungen (z. B. bei Quantenkohärenz) zu Fusionsreaktionen kommen kann, ohne dass dabei die zu erwartenden Plasmafusionsprodukte gebildet werden. Dies erinnert an den Mößbauer-Effekt. Wenn ein Kern einen Gammastrahl aussendet, wird er normalerweise heftig zurückgestoßen, um auf diese Weise den Impuls zu erhalten. In einem festen Gitter wird der Rückstoß jedoch vom gesamten Kristall absorbiert, wodurch der Energieverlust über die Gammastrahlung vernachlässigbar ist und eine Art periodischer, resonanter Emissions- und Absorptionsprozess zustande kommt.

Die beiden anerkannten Artikel aus dem Jahr 1989, die angeblich die Kalte Fusion ausschließen – ein Artikel in Nature von Koonin und Nauenberg und ein Artikel im Physical Review Letter von Leggett und Baym – lassen beide derartige quantenkohärente Effekte außer Acht. Nun, nicht ganz. Leggett und Baym weisen sogar ausdrücklich darauf hin, dass sie eine „exotische … Kohärenz zwischen Fusionsprozessen unter Beteiligung verschiedener Deuteronenpaare“ außer Acht gelassen haben. Aber wie „exotisch“ wären solche Effekte denn tatsächlich? In ihrer Eile, das Thema zu verwerfen, bevor es überhaupt begonnen hat, haben sich beide Artikel nicht die Mühe gemacht, auf einen Artikel im Physics Review Letter zu verweisen, der bereits 24 Jahre vor dem Drama um die Kalte Fusion veröffentlicht wurde und der unter ähnlichen Bedingungen wie bei den Experimenten zur Kalten Fusion genau solche Kohärenzeffekte nahelegt.

Die Umgebung eines Plasmas unterscheidet sich grundlegend von der eines Metallgitters. Und es gibt berechtigte Gründe für die Annahme, dass Kernreaktionen in letzterem auch auf vollkommen andere Weise ablaufen können.

Das mag ja alles schön und gut sein, doch dann könnte man sich auch die Frage stellen: Warum werden diese Experimente nicht auf breiter Front und auf einfache Weise reproduziert? Hierauf gibt es zwei Antworten. Bei der Arbeit im Bereich der Festkörper ist die Definition dessen, was als Reproduktionsversuch gilt, von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn Kohärenzeffekte im Spiel sind. So wurden beispielsweise von einem späteren Experiment, das Jones an der BYU in Zusammenarbeit mit dem Los Alamos National Laboratory (LANL) durchgeführt hatte, anomale Neutronenausbrüche aus Titanproben in Deuteriumgas berichtet, die deutlich (bis zu zwei Größenordnungen) über jener der Hintergrundstrahlung lagen, was sich so in den Kontrolldaten allerdings nicht wiederfand. Als es einem Team aus Yale und dem Brookhaven National Laboratory nicht gelang, das Experiment zu reproduzieren, wurden Zweifel an den eindeutigen und unumstößlichen Beweisen für einen Kernprozess laut.

Jones reagierte, indem er darauf hinwies, dass es aufgrund der begrenzten Laufzeit der Experimente in Yale und Brookhaven statistisch gesehen unwahrscheinlich sei, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Was unerwähnt blieb und dabei noch viel schlimmer war, ist die Tatsache, dass das Yale-Brookhaven-Team nach eigenem Eingeständnis – mit Ausnahme von einer einzigen – von keiner der Proben die Titanoxidschicht entfernt hat, was eine signifikante Absorption von Deuteriumgas praktisch unmöglich gemacht hat. Dieses entscheidende Versäumnis hat verhindert, dass diese Studie tatsächlich als Replikationsexperiment gewertet werden kann.

Und in der Tat wurden in der Folgezeit anomale Neutronen- und Gammastrahlenemissionen durch das BYU-LANL-Team, aus einer Zusammenarbeit zwischen der BYU und einer italienischen Gruppe sowie durch Gruppen in Russland, New York als auch zwei Gruppen aus Italien berichtet. Das BYU-LANL-Team zog seine Behauptungen später wegen eines fehlgeschlagenen Replikationsexperimentes zurück und führte die anomalen Effekte auf einen fehlerhaften Detektor zurück. Die Fehlfunktion eines Detektors erklärt jedoch nicht, warum die eindeutig positiven Ergebnisse in keinem der begleitenden Kontrollexperimente oder in den Hintergrunddaten auftauchten. Fast ein Jahrzehnt später veröffentlichte Jones eine weitere Replikationsstudie, die eindeutig bewies, dass die beobachteten Daten der Neutronen echt waren und von der Metalldeuteridprobe stammten. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Kalte Fusion bereits als Pseudowissenschaft verschrien, und so dürfte die neue Studie nur von sehr wenigen Forschern gelesen worden sein.

Sieht man einmal von den theoretischen Auseinandersetzungen über die Kalte Fusion und von mutmaßlichen theoretischen Erklärungen ab, so müssen experimentelle Beobachtungen der Hauptmaßstab für die Bewertung der Gültigkeit von LENR bleiben. Physikalische Theorien sind nur insoweit korrekt, als sie mit der Natur übereinstimmen. Keine LENR-Theorie wird derzeit als vollständige Erklärung anerkannt, doch es gibt einige überzeugende theoretische Konzepte (der Link wird weder regelmäßig aktualisiert, noch ist er vollständig), durch die viele gängige theoretische Einwände direkt widerlegt werden. Und obwohl die Reproduzierbarkeit von Experimenten für den wissenschaftlichen Fortschritt von entscheidender Bedeutung ist, gibt es zahlreiche Beispiele für wissenschaftliche Phänomene wie etwa den Halbleiterverstärker und die Transistoren, bei denen es aus Gründen, die sich im Nachhinein als durchaus nachvollziehbar erwiesen haben, über Jahrzehnte hinweg Probleme mit der Reproduzierbarkeit gegeben hat.

Worin bestehen die Kernaussagen zur Kalten Fusion?


Oftmals verkennen die Forscher, worin die Kernaussagen zur Kalten Fusion – genauer gesagt zu LENR – überhaupt bestehen. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler hat entweder überhaupt keine Kenntnisse über diesen Forschungsbereich oder geht von der Annahme aus, dass sich die Kernaussage ausschließlich auf die Überschusswärme bezieht, die in Experimenten nach dem Vorbild der Elektrochemie von Fleischmann und Pons freigesetzt wird. Diese Auffassung entspricht schlichtweg nicht den Tatsachen.

Das gemeinhin bekannteste Resultat, nämlich die Überschusswärme, ist hinsichtlich ihres nuklearen Ursprungs eher mehrdeutig. Weniger gut bekannte, jedoch gut dokumentierte Phänomene wie die Emission hochenergetischer Teilchen mit Resonanzspitzen sowie nukleare Transmutationsprodukte mit unnatürlichen Isotopenverhältnissen sind hingegen weitaus überzeugender und weisen zweifelsfrei auf Kernreaktionen hin.

Praktisch finden sich in der Literatur zu den LENR-Experimenten vor allem folgende Aussagen:

Während die Reaktionsprodukte konventioneller Kernkraftwerke konsistent und vorhersehbar sind, liefern LENR-Experimente eine verwirrende Vielzahl unterschiedlicher Ergebnisse. Sich in diesem Forschungsbereich zurechtzufinden, stellt daher eine echte Herausforderung dar. So berichten viele Studien beispielsweise über die Emission von Teilchen aus Metallhydridproben unter Bedingungen außerhalb des Gleichgewichtes, wobei diese Teilchen in ihrer Art (Neutronen, Alphateilchen und andere) sowie in ihrer Energie (keV bis MeV) stark variieren.

Doch abgesehen von dem unklaren nuklearen Ursprung verrät die Überschusswärme dem Beobachter im Wesentlichen nichts über die Art der vermeintlichen Kernreaktion und liefert nur in begrenztem Umfang wissenschaftliche Erkenntnisse. Andererseits können der Nachweis neuer Elemente, die Isotopenverschiebungen, die Entstehung von Tritium sowie die Emission von Teilchen ausgeprägte Muster aufweisen und somit zu einer tiefergehenden Aufklärung der Natur möglicher Kernreaktionsmechanismen führen. Edmund Storms, ein langjähriger Forscher am LANL im Ruhestand, hat in zwei Büchern eine umfangreiche Sammlung solcher sorgfältig überprüfter experimenteller Ergebnisse zusammengestellt.

Es ist daher schon recht verwunderlich, dass die Aussagen zur Kalten Fusion in der breiten Wissenschaftsgemeinde derart verächtlich aufgenommen wurden (siehe die Kommentare von Douglas R. O. Morrison und Robert F. Heeter), während die überzeugendsten empirischen Beweise weitgehend unbeachtet blieben oder missverstanden wurden. So bedeutende Aussagen wie die zur Kalten Fusion stoßen natürlich häufig auf scharfe Kritik. Ein beliebter Ausspruch der Kritiker etwa behauptet: „Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise.“ Im allgemeinen Sprachgebrauch wird jedoch gerne übersehen, dass dieses Zitat von Marcello Truzzi stammt, der – wie dies auch Brian Josephson in seiner Vorlesung anlässlich der Verleihung des Nobelpreises hervorhob – später feststellte, dass es sich dabei um einen „non sequitur“ handelt, also um eine völlig sinnlose und fragwürdige Aussage.

* Diese Zeile wurde überarbeitet, um „(>keV)“ durch „(≥ keV)“ zu ersetzen.

Wie geht es nun weiter mit der Kernfusion?


Kürzlich fragte mich ein Befürworter der Kernenergie: „Was ist Ihre persönliche optimistische Sicht auf … LENR.“ Meine einfache Antwort war, dass LENR für die heutige Kerntechnik das Gleiche bedeuten könnte wie der Transistor für die Elektronenröhre. Doch die komplette Antwort stellt sich etwas komplizierter dar. Es könnte sich herausstellen, dass die Kalte Fusion zwar tatsächlich existiert, aber nie zu einer brauchbaren Energietechnologie führen wird, weil die LENR-Effekte möglicherweise nur in isolierten Bereichen der Oberflächenschichten von Metallhydriden auftreten. Sollten diese sich jedoch als real erweisen und auf ein größeres Volumen des Metalls ausgeweitet werden können, wären die Anwendungsmöglichkeiten äußerst vielversprechend.

Die Forscher haben also noch viel Arbeit vor sich. LENR wird von den etablierten wissenschaftlichen Institutionen nach wie vor gemieden und ignoriert, und obwohl das Interesse an diesem Gebiet gerade wieder auflebt, leidet es immer noch unter dem, was der Professor für Wissenschaftsphilosophie Huw Price als „Reputationsfalle“ bezeichnet, die Neueinsteiger davon abhält, sich diesem Forschungsgebiet zuzuwenden.

Sollte sich die Kalte Fusion letztendlich als real erweisen, dann rechne ich damit, dass die wissenschaftliche Gemeinde in ganzer Breite eine Kehrtwende vollziehen und behaupten wird, das wissenschaftliche Establishment habe die Kalte Fusion nie völlig ausgeschlossen und die Wissenschaft als solche habe sich am Ende durchgesetzt – anstatt ernsthaft darüber nachzudenken, warum die Wissenschaft als Institution so lange versagt hat. In der Zwischenzeit wird LENR oder die Kalte Fusion leider so lange ein tabuisiertes Thema bleiben, bis in diesem Forschungsbereich die Grundprinzipien anhand eines unwiderlegbaren Referenzexperimentes nachgewiesen worden sind, und dies in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlicht sein wird. Bis es so weit ist, werden wir in unseren Laboratorien arbeiten, so gut wir können.