Die „Kalte Fusion“ ist vielleicht gar keine Fusion

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Medium – The Infinite Universe
„Cold Fusion“ may not be fusion
Tim Andersen, Ph. D.
22. Juli 2020

Die Forschung zu den Niederenergetischen Kernreaktionen läuft weiter auf Sparflamme

Am 23. März 1989 verkündeten Stanley Pons und Martin Fleischmann Erstaunliches: Sie behaupteten, die Kernfusion – die Energie der Sonne – in einem Reagenzglas voller Wasser und bei Zimmertemperatur realisiert zu haben.

Was folgte, war ein mediales Blitzlichtgewitter. Nach der Katastrophe der Exxon Valdez und der von Tschernobyl übte die Verheißung grenzenloser und sicherer Energie eine ungeheure Anziehungskraft aus. Doch es sollte anders kommen. Als es anderen Wissenschaftlern nicht gelang, die erzielten Ergebnisse zu replizieren und immer mehr Fragen darüber aufkamen, wie die beiden überhaupt zu ihren Ergebnissen gekommen waren, zerstörte der anschließende Skandal jede Chance darauf, dass die Forschung zur Kalten Fusion von der wissenschaftlichen Gemeinschaft ernst genommen werden würde. Man verglich die Kalte Fusion mit einem Perpetuum Mobile, und somit war sie ein zu heißes Eisen, um sich ernsthaft mit ihr zu beschäftigen.

Die Theorie hinter der Kernfusion ist relativ einfach. Bei der Kernfusion handelt es sich um einen Prozess, bei dem Atomkerne, die sich aus Protonen und Neutronen zusammensetzen, ihre natürliche elektromagnetische Abstoßung überwinden und zu höheren Elementen verschmelzen, was zu einer Freisetzung von Energie führt. Für diese Kernfusion ist es erforderlich, dass die Atomkerne so dicht zusammengedrängt werden, dass es der starken Kernkraft möglich wird, die elektromagnetische Kraft zu überwinden.

Um eine Fusion wie im Inneren der Sonne zu erzielen, sind eine extreme Hitze und ein gewaltiger Druck erforderlich. Diese bewirken, dass der Wasserstoff als Brennstoff mit so viel Energie aufgeladen wird, dass es zu Kollisionen und Fusionen kommt, die wiederum zur Freisetzung von Energie führen. Auf dieselbe Weise funktionieren auch die Wasserstoffbomben, nur dass hier eine Kernspaltungsreaktion zur Katalyse der Fusionsreaktion zum Einsatz kommt.

Die Kalte Fusion hat weniger damit zu tun, dass sie kalt ist – vielmehr geht es darum, dass sie nicht heiß ist. Der Gedanke dahinter besteht darin, dass zum Zusammendrängen der Brennstoffe keine extreme Hitze zur Anwendung kommt, sondern vielmehr andere elektromagnetische Kräfte genutzt werden, um die natürliche Abstoßung der Kerne zu überwinden und sie zur Fusion zu bringen. Der Ansatz, den Pons und Fleischmann verfolgten, bestand darin, einen Brennstoff, wie z. B. Deuterium(D)-Atome, durch Anlegen eines elektrischen Stroms in ein Gitter aus metallischen Palladium(Pd)-Atomen zu ziehen. Das Gitter ist für die Atome zu eng, so dass einige von ihnen dazu angeregt werden, miteinander zu verschmelzen. Zumindest war das die Theorie.

Die beiden Wissenschaftler waren davon überzeugt, einige Reaktionsprodukte einer Kernfusion gefunden zu haben, und beeilten sich daher, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Diese mussten später zurückgezogen werden, als klar geworden war, dass ihre Ergebnisse nicht zuverlässig reproduziert werden können. Darüber hinaus waren auch die Reaktionsprodukte der Kernfusion nicht wirklich nachweisbar.

Der von ihnen verwendete Brennstoff, das Deuterium, ist nur ein Isotop des Wasserstoffs. Es besteht aus einem Proton und einem Elektron, jedoch auch aus einem Neutron, einem neutralen subatomaren Teilchen. Deuterium fusioniert eher als Wasserstoff und kommt aus diesem Grund üblicherweise als Brennstoff zum Einsatz. Im Ozean ist es in großen Mengen als „Schweres Wasser“ oder D2O (im Unterschied zu H2O) vorhanden. Sollte es also als Brennstoff erschlossen werden können, wären die Möglichkeiten zur Energiegewinnung praktisch grenzenlos.

Aus einer Deuterium+Deuterium-Reaktion ergeben sich drei mögliche Ergebnisse:

  1. Ein Wasserstoff- und ein Tritiumatom, was bedeutet, dass ein Neutron vom einen Deuteriumatom zum anderen übergegangen ist.
  2. Ein Neutron und ein Helium-3-Atom, was bedeutet, dass sowohl das Proton als auch das Elektron des einen Atoms in das andere Atom übergegangen sind.
  3. Helium-4 und Gammastrahlung, was bedeutet, dass sich die beiden Deuteriumatome miteinander verbunden haben und dabei etwas Strahlung freigesetzt wurde.

Die Experimentatoren konnten keines der Nebenprodukte dieser Fusionsreaktionen nachweisen, auch nicht die Gammastrahlen, die von Pons und Fleischmann angeblich gefunden worden waren. Die überschüssige Energie, von der sie behaupteten, dass sie erzeugt wurde, hat man später als Fleischmann-Pons-Effekt (FPE) bezeichnet, obwohl sie weithin als experimenteller Fehler angesehen wurde.

Ungeachtet dessen, dass es nicht gelungen war, eine Kernfusion zu demonstrieren, haben zahlreiche Wissenschaftler den Fleischmann-Pons-Effekt reproduziert. Ihre Ergebnisse waren jedoch alles andere als sicher, und so herrschte Skepsis hinsichtlich der realen Existenz dieses Effektes.

In der Gemeinschaft der daran forschenden Wissenschaftler ist die Behauptung, dass bei diesen Reaktionen eine Energieerzeugung zu beobachten ist, in den letzten Jahren nie ins Wanken geraten – viele von ihnen haben sich jedoch von dem Begriff der „Kalten Fusion“ gelöst.

Diese Reaktionen, die heute als „Low Energy Nuclear Reactions“ (LENR) bezeichnet werden, gelten als nuklear, weil die beobachtete Energieproduktion, z. B. 150 Watt Ausgangsleistung bei 100 Watt Eingangsleistung, höher ist, als dass dies mit einer chemischen Reaktion erklärt werden könnte.

Tatsächlich wurde inzwischen in Hunderten von Experimenten, basierend auf einer Analyse von Storms aus dem Jahr 2010, der Nachweis der Erzeugung von überschüssiger Wärme erbracht. In Dutzenden wurden die Transmutation von Elementen und die Bildung von Tritium aufgezeigt, aber nur in wenigen wurden auch andere Produkte der Kernfusion wie etwa Helium-4 nachgewiesen. Da Helium-4 aus atmosphärischer Kontamination stammen kann, ist es sinnvoll, es als ein Nichtfusionsprodukt anzusehen.

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Eine treibende Kraft hinter dem anhaltenden Interesse an LENR in den Vereinigten Staaten stellt das US-Verteidigungsministerium dar, insbesondere die Marine, die für den Betrieb von U-Booten und Flugzeugträgern auf große, teure und gefährliche Kernreaktoren angewiesen ist. Schon allein die Möglichkeit auf eine zuverlässige, transportable Energiequelle reicht aus, um einiges an Forschungsgeldern in die Hand zu nehmen.

In der Tat haben bestimmte Arbeiten am Space and Naval Warfare Center (SPAWAR) in San Diego, Kalifornien, nachgewiesen, dass bei Experimenten mit der gleichen Art von Palladiumgitter, wie es von Pons und Fleischmann verwendet wurde, nukleare Reaktionsprodukte ausgestoßen werden. Dabei kam eine spezielle Art von Kunststoff namens CR-39 zum Einsatz, der zum Einfangen von ausgestoßenen subatomaren Teilchen verwendet werden kann.

Die Forscher leiteten einen elektrischen Strom durch eine Deuteriumlösung, die ein Palladiumgitter mit einer Gold-Nickel-Kathode enthielt, und erzielten damit eine unmittelbare Reaktion. Bei der mikroskopischen Untersuchung des CR-39 fanden sie typische „Tripelspuren“, die darauf hinwiesen, dass in den Kunststoff Neutronen eingedrungen sein mussten.

Triple tracks embedded in plastic
In Kunststoff eingebettete Tripelspuren. Quelle: Pam Boss, Space and Naval Warfare Systems Center (SPAWAR). Nutzungsbeschränkungen: Keine. Quelle: https://www.eurekalert.org/multimedia/pub/12918.php

Pam Mosier-Boss, eine der Studienteilnehmerinnen, erklärte: „Die Leute haben immer gefragt: ‚Wo sind denn nun die Neutronen?‘ … Wir haben jetzt den Beweis dafür, dass in diesen LENR-Reaktionen Neutronen auftreten.“

Bereits in einer Arbeit aus dem Jahr 2007 beschrieb dasselbe Team schon die Theorie hinter dieser Erzeugung von Neutronen, die als Elektroneneinfang bezeichnet wird und ein Spitzenkandidat ist für das, was Pons und Fleischmann für die Kalte Fusion von Deuterium hielten. Beim Elektroneneinfang handelt es sich jedoch nicht um eine Reaktion der starken Kraft wie etwa bei der Kernfusion, sondern um eine Reaktion der schwachen Kraft.

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An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zu den fundamentalen Wechselwirkungen. Das Universum besteht aus vier Kräften, von denen wir bisher wissen:

  1. Die Gravitation: Sie wirkt auf Masse und Energie, über große Entfernungen und ist ausschließlich anziehend. Sie hält Planeten, Sterne und Galaxien zusammen.
  2. Der Elektromagnetismus: Er wirkt auf Ladungen (z. B. auf Elektronen und Protonen), über große Entfernungen und kann sowohl anziehend als auch abstoßend sein. Er hält die Atome und Moleküle zusammen.
  3. Die schwache Wechselwirkung: Sie wirkt auf die Flavour („Geschmacksrichtung“/Quark-Flavour) der Ladung (so können z. B. die Quarks, aus denen Protonen und Neutronen bestehen, die Flavour Up, Down, Strange, Charm, Top oder Bottom annehmen, und nicht nur positiv oder negativ sein), nur über sehr kurze Entfernungen und ist weder von anziehender noch von abstoßender Natur. Sie verursacht den radioaktiven Zerfall.
  4. Die starke Wechselwirkung: Sie wirkt auf die Farbladung eines Teilchens (z. B. können Quarks rot, blau, grün, antirot, antiblau oder antigrün sein), nur auf sehr kurze Entfernungen und kann anziehend als auch abstoßend sein. Sie bewirkt den Zusammenhalt des Atomkerns.

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Die Elektroneneinfangtheorie des Fleischmann-Pons-Effektes geht auf das Forscherduo Widom und Larsen zurück, die diese als eine Alternative zu der Erklärung als einer Kernfusion vorschlugen.

Unter einem Elektroneneinfang versteht man, dass ein Elektron durch die schwache Wechselwirkung in einen Atomkern gezogen wird, sich dort mit einem Proton vereint und es auf diese Weise zur Bildung eines Neutrons und eines Neutrinos kommt.

Electron capture
Elektroneneinfang. Quelle: Jefferson National Lab. https://education.jlab.org/glossary/electroncapture.html

Man beachte, dass es sich hierbei eindeutig um eine Kernreaktion handelt. Wie bei der Kernfusion wird auch hier das instabile Isotop Kohlenstoff-11 in das stabilere Isotop Bor-11 transmutiert. Da es sich beim Elektroneneinfang um die Umwandlung von instabilen Isotopen in stabile handelt, kommt es hier auf natürliche Weise zu einer Art Energiefreisetzung.

In ihren Experimenten zeigte sich dem SPAWAR-Team die Emission „weicher“ Röntgenstrahlung, was mit dem Elektroneneinfang im Einklang steht. Beim Elektroneneinfang handelt es sich um das Gegenstück zum Neutronenzerfall, bei dem ein Neutron spontan in ein Elektron, ein Proton und ein Neutrino zerfällt.

Ihre Experimente deuten darauf hin, dass die Deuteriumatome Elektronen einfangen, durch die das Proton in ein Neutron umgewandelt wird und im Kern somit zwei Neutronen entstehen. Da aber zwei Neutronen in einem Atomkern nicht zusammenhalten, fällt der Kern auseinander und es entstehen zwei freie Neutronen, von denen einige aus dem Gitter herausgeschleudert werden.

Über die Bildung von Neutronen hinaus ist es bei einigen Experimenten wohl auch zu einer verheerenden unkontrollierbaren thermischen Reaktion gekommen. Dies stimmt mit dem überein, was Pons und Fleischmann in ihrem Labor in Utah beobachtet hatten. Einer der anderen SPAWAR-Forscher, Stanislaw Szpak, hat berechnet, dass es bei einem solchen Experiment zu einem Energiegewinn von 10 eV pro Palladiumatom kommt, was über der Energie liegt, die durch eine chemische Reaktion freigesetzt wird. Diese unkontrollierte Reaktion verursachte an der Apparatur erhebliche Schäden.

Die Verbindung zwischen dem Elektroneneinfang und einer solchen aus dem Ruder laufenden thermischen Reaktion, wie sie auch von Pons und Fleischmann sowie von vielen weiteren beobachtet wurde, ist jedoch alles andere als gewiss. An dieser Stelle wäre eine umfangreichere finanzierte Untersuchung erforderlich.

Selbst wenn es zum Elektroneneinfang und zur Transmutation kommt, kann dies nicht die Erzeugung der Überschusswärme erklären.

Einige Studien versuchen, das Problem von einem empirischen Standpunkt aus anzugehen, ohne dabei zwangsläufig die theoretischen Zusammenhänge aufzuzeigen. Das heißt, dass es von größerer Bedeutung ist, den Effekt zuverlässig reproduzieren zu können, als ihn zu verstehen. Um die Unterstützung der großen wissenschaftlichen Gemeinde zu gewinnen, ist es in der Tat entscheidend, dass die Praktiker die genauen Anforderungen bestimmen, die für eine Reproduktion des Fleischmann-Pons-Effektes erforderlich sind.

So weist Storms zum Beispiel darauf hin, dass für die Erzeugung von Überschussenergie das Palladium in einer Qualität benötigt wird, in der es im Inneren frei ist von großen Rissen und ein dichtes, regelmäßiges Metallgitter in der Größenordnung von weniger als 100 Mikrometern aufweist. Seine Vermutung besteht also darin, dass das Problem der Reproduzierbarkeit darauf zurückzuführen ist, dass Überschussenergie nicht mit irgendeinem herkömmlichen Palladium zu erreichen ist. Vielmehr muss es aufbereitet werden. Er demonstriert dies anhand eines Verfahrens, bei dem „angeregtes“ Palladium zunächst auf 900 Grad Celsius erhitzt und anschließend sehr langsam wieder abgekühlt wird.

Darüber hinaus vermutet Storms, dass die Reaktionen nur in Nanorissen mit einer Breite von einem Nanometer (etwa die Größe eines Moleküls) auftreten, in denen sich das Deuterium angesammelt hat. Nach seiner Theorie entstehen diese Risse durch einen „Spannungsabbau“ infolge der Erhitzung, während die durch hohe Spannungen verursachten großen Risse eine Reaktion effektiv verhindern. Diese winzigen Risse sind möglicherweise klein genug, um die Wahrscheinlichkeit für eine Art von Kernreaktion zu erhöhen.

Zur Erzielung einer Wärmereaktion ist insbesondere das Verhältnis von Palladium zu Deuterium von großer Bedeutung. Um eine Reaktion zu initiieren, muss es jedoch wiederholt mit Deuterium be- und entladen werden. Sobald sich eine Reaktion einstellt, verläuft sie für eine gewisse Zeit recht zuverlässig. Das Entfernen des Deuteriums stoppt die Reaktion. Das Abschalten des elektrischen Stroms stoppt sie erstaunlicherweise jedoch nicht sofort. Stattdessen wird für einige Zeit weiterhin Überschusswärme produziert, was darauf hindeutet, dass sich irgendeine Art von Reaktion fortsetzt.

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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass wir – wie schon bei den ersten Versuchen, den Motorflug zu verwirklichen – sowohl die Mechanik verstehen als auch in der Lage sein müssen, eine wirklich zuverlässige Technologie zu entwickeln, um sie für das Gemeinwohl einsetzen zu können. Und selbst dann bleibt noch eine Menge an Unbekanntem. Fest steht, dass es sich hierbei um ernsthafte wissenschaftliche Arbeit handelt, auch wenn sie sich am Rande der anerkannten wissenschaftlichen Forschung vollzieht.

Referenzen

  • American Chemical Society. „‚Cold fusion‘ rebirth? New evidence for existence of controversial energy source.“ Eurekalert. 29 March 2007. Visited: 21 July 2020. https://www.eurekalert.org/pub_releases/2009-03/acsfr031709.php
  • Szpak, Stanislaw, Pamela A. Mosier-Boss, and Frank E. Gordon. „Further evidence of nuclear reactions in the Pd/D lattice: emission of charged particles.“ Naturwissenschaften 94.6 (2007): 511-514.
  • Mosier-Boss, Pamela A., et al. „Triple tracks in CR-39 as the result of Pd–D Co-deposition: evidence of energetic neutrons.“ Naturwissenschaften 96.1 (2009): 135-142.
  • Storms, E. K., and T. W. Grimshaw. „Judging the validity of the Fleischmann-Pons effect.“ J. Cond. Matter Nucl. Sci 3 (2010): 9-30.
  • A. Widom and L. Larsen, Eur. Phys. J.C46(2006) 107-117.
  • Szpak, Stanislaw, and Frank Gordon. „Forcing the Pd/H–H2O System into a Nuclear Active State.“ Proc. ICCF. Vol. 17. 2012.
  • Storms, Edmund. „Anomalous energy produced by PdD.“ J. Condensed Matter Nucl. Sci 20 (2016): 81-99.