Sabine Hossenfelder: My dream died, and now I'm here

Aus LENR-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mein Traum ist zerbrochen, und da stehe ich nun


Video
Hossenfelder-my-dream-died 320x180.png
Sabine Hossenfelder im Vortrag
Plattform youtube.com
Kanal Sabine Hossenfelder
URL youtube.com/watch?v=LKiBlGDfRU8
Datum 05.04.2024
Länge 13 Minuten, 40 Sekunden


Videoskript in Deutsch

Als ich mich für ein Studium an der Universität einschrieb, dachte ich, Physikerin sei mein Traumberuf.

Aber jetzt bin ich hier – auf YouTube. Wie ist das passiert? Ich denke, ich schulde Ihnen eine Erklärung.

Als ich mein Studium an der Universität begann, basierten meine Erwartungen auf Biografien von Wissenschaftlern. Sie haben sich gegenseitig eine Menge Briefe geschrieben; sie sind zu Konferenzen gegangen. Sie waren Denker und Tüftler und führten mitunter hitzige, aber meist respektvolle Diskussionen. Das ist es, was ich erwartet hatte.

Ja, das war hoffnungslos naiv, ich weiß, ich weiß.

Aber – zu meiner Verteidigung: Ich stamme nicht aus einem akademischen Umfeld. Ich stamme aus einer Familie von Lehrern, Buchhaltern und Postbeamten. Das sind ganz normale Leute.

Ich habe ein Praktikum in der chemischen Industrie gemacht und ein weiteres in einer Bank, wo ich mit Freude Überweisungsbelege gestempelt habe. Ich kannte einfach niemanden, der einen Doktortitel hatte. Und das waren die frühen 1990er Jahre. Man konnte nicht einfach das Internet befragen, und innerhalb eines Tages hatte man 2000 Leute, die einem Ratschläge gaben, und dazu noch ein paar Heiratsanträge.

Die ersten Jahre an der Universität waren großartig. Denn zum ersten Mal in meinem Leben war ich in der Gesellschaft von Menschen, die so waren wie ich. In der Schule war ich immer der Sonderling gewesen, weil ich mich für Naturwissenschaften und Mathematik interessiert habe. Aber an der Universität waren alle so wie ich. Wir sprachen über alles, von Mathe über Philosophie und Physik bis hin zu Politik. Und ja, Alkohol war auch dabei. Es war eine wirklich gute Zeit.

Und das war alles sehr schön, außer dass ich älter wurde und immer noch keinen anständigen Job hatte. Ich verdiente ein wenig Geld mit dem Verkauf von Ölgemälden – das waren noch Zeiten –, aber ich hielt mich nicht ernsthaft für einen besonders guten Künstler. Ich musste mir wirklich einen normalen Job suchen und aufhören, meine Oma zu bitten, mir bei der Miete zu helfen.

Ich dachte, dass das Institut für Physik mir einen Job geben würde, wenn ich meinen Master mit guten Noten abgeschlossen hätte. Auch wenn das damals technisch gesehen ein Diplom war. Ich dachte, sie würden mir einen Job geben, weil das bei allen anderen Studenten zuvor funktioniert hatte – wenn deine Noten gut waren, boten sie dir einen Job als Doktorand an. Die Bezahlung war nicht besonders gut, aber es war ein richtiger Job.

Und genau da fing es an, schief zu laufen. Denn ich schloss mein Examen mit ausgezeichneten Noten ab. Ich will nicht prahlen, aber ich denke, Sie sollten diesen Kontext kennen. Aber mir wurde kein Job angeboten, weil ich eine Frau bin.

Ich nehme nicht an, dass das so war, sondern ich weiß es, denn man hat es mir gesagt. Der Leiter des Instituts erklärte mir, ich solle mich für ein Stipendium bewerben, das ausschließlich für Frauen in den Naturwissenschaften bestimmt sei, denn ich sei ja eine Frau. Denn dann müsste das Institut nicht für mich zahlen. Macht ja auch Sinn, oder?

Also habe ich mich für das Stipendium beworben und es auch bekommen, in Ordnung. Aber mit diesen Stipendien sind keine Leistungen wie Renten- oder Krankenversicherung verbunden. Ich weiß, das klingt sehr deutsch, doch diese Dinge sind für uns wichtig.

Außerdem wurde ich nun bei verschiedenen Gelegenheiten daran erinnert, dass ich eigentlich gar nicht am Institut angestellt war. Ich war nur dort, weil ich dieses Stipendium für Frauen bekam. Und das war völlig zutreffend.

Das ist übrigens der Grund, warum ich gegen Programme oder Stellen bin, die ausschließlich für Frauen bestimmt sind. Ich denke, dass die unterschiedliche Behandlung von Frauen nur das Vorurteil stärkt, dass Frauen weniger fähig sind als Männer. – Doch ich schweife ab.

Na gut, werden Sie sagen, hör auf zu jammern, immerhin habe ich jetzt ein Einkommen. Ja, so weit, so gut. Zu dieser Zeit war ich, abgesehen von der Verwaltung, die einzige Frau am Institut.

Aber das nächste Problem war, dass der Leiter des Institutes eine Menge Geld mit dem Verkauf von Lehrbüchern verdiente. Von diesen Lehrbüchern hat er nur sehr wenige selbst geschrieben. Stattdessen vergab er Aufträge für Teile der Bücher an Studenten und Postdocs. Deshalb sind diese Lehrbücher, falls Sie sich jemals darüber gewundert haben, so bruchstückhaft und zum Teil auch sich wiederholend.

Er erwartete von mir, dass auch ich für ihn arbeite, wozu ich „Nein“ gesagt habe. Daraufhin wurde ich in sein Büro beordert, wo er mir eine sehr wütende Rede hielt, in der er mir vorwarf, gegenüber all den anderen Studenten, die ihren Beitrag geleistet hätten, nicht „loyal“ zu sein. Ich sagte ihm, dass ich nicht verpflichtet sei, für ihn zu arbeiten, und dass es mir egal sei, was die anderen Schüler dächten.

Er wurde wütend, ich lachte ihn aus, er fing an herumzuschreien, dass ich gefeuert sei, und schubste mich mit körperlicher Gewalt aus seinem Büro. – Eine wahre Geschichte.

Die Ironie dabei war, dass er mich nicht feuern konnte, denn er hatte sich ja geweigert, mich überhaupt einzustellen. Ich wurde ja von diesem Stipendium für Frauen bezahlt, und das wurde nicht vom Institut, sondern vom Büro des Universitätspräsidenten verwaltet.

Ich erzähle Ihnen das nicht nur, weil es unterhaltsam ist, sondern es bedeutete auch ein ziemlich böses Erwachen. Mir wurde klar, dass es in diesem Institut nicht um die Erlangung von Wissen ging. Es ging darum, Geld zu verdienen.

Und je mehr ich von der akademischen Welt mitbekam, desto mehr wurde mir klar, dass es nicht nur um dieses spezielle Institut und diesen speziellen Professor ging. Es war die allgemein herrschende Regel. In dem Moment, da man Menschen in große Institutionen steckt, verlagert sich das Ziel von der Wissenserlangung hin zum Geldverdienen. Und das funktioniert folgendermaßen:

Erhält ein Forscher ein Stipendium oder einen Forschungszuschuss, so bekommt die Einrichtung einen Teil dieses Geldes. Man nennt das den „Overhead“. Damit werden normalerweise Büroräume, Ausrüstung und Verwaltung usw. bezahlt. Doch akademische Einrichtungen finanzieren damit einen Teil ihres Personals, so dass sie auch weiterhin auf diese Mittel aus dem Overhead angewiesen sind.

Kleine Stipendien bringen nicht viel Geld ein, doch Forschungsstipendien können zweistellige Millionenbeträge ausmachen. Und der Overhead kann zwischen 15 und 50 Prozent liegen. Aus diesem Grunde üben die Forschungseinrichtungen auf die Forscher einen enormen Druck aus, damit diese Fördergelder einwerben. Zum Teil geschieht dies, indem sie die Forscher in befristeten Verträgen halten, so dass diese auf Zuschüsse angewiesen sind, um ihrerseits bezahlt zu werden – während die Verwaltungsangestellten, die über den Overhead bezahlt werden, in der Regel unbefristete Stellen innehaben.

Das eigentliche Problem liegt darin, dass der einfachste Weg, in der Wissenschaft zu wachsen, darin besteht, andere Leute dafür zu bezahlen, dass sie Arbeiten verfassen, unter die man als Stipendiat dann seinen Namen setzen kann.

So funktioniert die akademische Welt. Die Stipendiaten bezahlen Studenten und Postdocs dafür, dass sie Forschungsarbeiten für den Stipendiaten erstellen. Und diese Papiere verwendet der wissenschaftliche Betreuer dann, um weitere Zuschüsse zu beantragen.

Das Ergebnis ist eine Papierproduktionsmaschine, in der Studenten und Postdocs verheizt werden, um für die Einrichtung Gelder zu erwirtschaften. Das meiste Geld stammt dabei aus Ihren Steuern.

Nach meiner Promotion habe ich mich um ein weiteres Stipendium beworben und es auch bekommen, und dann habe ich eine Stelle als Postdoc bekommen und ein Stipendium und eine weitere Stelle und eine weitere Stelle und ein weiteres Stipendium und so weiter.

Und ich begann zu verstehen, was man tun muss, um ein Stipendium zu bekommen oder um eingestellt zu werden. Man muss an Themen arbeiten, die genug Mainstream darstellen, aber nicht zu viel Mainstream. Sie sollten ein wenig ausgefallen sein. Aber nicht zu ausgefallen. Es muss etwas sein, das in die bestehende Maschinerie passt. Und da die meisten Stipendien auf 3 oder höchstens 5 Jahre befristet sind, muss es sich auch um etwas handeln, das schnell zu einem Abschluss gebracht werden kann.

Je mehr ich davon mitbekam, desto mehr wurde mir klar, dass ich mein Leben nicht auf diese Weise verbringen wollte.

Je mehr ich von den Grundlagen der Physik erfuhr, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass der größte Teil der Forschung in diesem Bereich nicht auf soliden wissenschaftlichen Grundsätzen beruhte. Ich weiß, das klingt verrückt – so als ob ich der Spinner von nebenan bei YouTube wäre. Und vielleicht bin ich das auch.

Aber ich denke, dass ich meine Argumentation sehr schulmeisterlich vorgetragen habe und dies auch immer noch tue. Ich hatte jedoch nie die Absicht, jemanden zu verunglimpfen.

Ich wollte lediglich erklären, warum es keine gute Strategie für den Fortschritt in der Physik ist, sich neue Teilchen auszudenken, und warum das ein ganzes Fachgebiet in die Sackgasse geführt hat. Und so naiv ich auch gewesen sein mag, ich hatte erwartet, dass die Physiker darüber nachdenken würden.

Ich hatte eine rationale Debatte erwartet. Doch dazu ist es nicht gekommen. Keiner hatte ein Interesse daran. Keiner war interessiert.

Das Interesse bestand darin, noch mehr Arbeiten zu verfassen. Und dafür brauchte es all diese Teilchen und sonstige verrückte Ideen. Um Arbeiten zu verfassen. Um Zuschüsse zu erhalten. Um Postdocs zu gewinnen. Um noch mehr Arbeiten zu verfassen. Und so geht es immer weiter.

In der Zwischenzeit war ich um die halbe Welt gezogen, weil das für Postdocs so üblich ist. Es wird von einem einfach erwartet. Und irgendwann akzeptiert man dieses ständige Umziehen als Normalität, denn die einzigen Leute, die man kennt, tun dies ja auch.

Für das Privatleben ist das unglaublich schädlich, es schadet der psychischen Gesundheit, und Frauen leiden darunter, weil wir aus Gründen der Reproduktion früher eine Familie gründen müssen als Männer. Mit Mitte dreißig hatte ich es wie durch ein Wunder geschafft, zu heiraten und zwei Kinder zu bekommen. Aber ich konnte nie einen Job in der Nähe meines Mannes finden. Also pendelte ich über mehrere Jahre zwischen Frankfurt und Stockholm. Und ja, diese Städte befinden sich tatsächlich in verschiedenen Ländern.

Nach 5 Jahren dieses mörderischen Pendelns konnte ich es einfach nicht mehr länger durchziehen. Ich fühlte mich nur noch schuldig, nicht mehr zu arbeiten und nicht mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Um meine psychische Gesundheit war es schlimmer denn je bestellt, ich war dauerhaft im Stress, hatte mehrere Nervenzusammenbrüche und war ständig krank.

Ich beschloss, nach Deutschland zurückzukehren und das Land erst wieder zu verlassen, wenn die Kinder die Schule abgeschlossen hatten. Stattdessen bewarb ich mich um Forschungsstipendien für Projekte, die über zwei oder drei Jahre liefen und sich in Deutschland ansiedeln ließen.

Seitdem ist eine Menge Wasser den Rhein hinuntergeflossen, also lassen Sie mich ehrlich sein. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich herausgefunden, was in einen Förderantrag hineingehört, um an das Geld zu kommen. Und genau das habe ich getan. Ich bewarb mich um Zuschüsse für Forschungsprojekte, weil ich mit ihnen Geld verdienen wollte, und nicht, weil ich dachte, mit ihnen in die Geschichte der Wissenschaft einzugehen.

Es ist nicht so, dass das, was ich getan habe, in irgendeiner Weise falsch gewesen wäre. Es entsprach, und entspricht immer noch, dem neuesten Stand der Technik. All das, was ich vorgeschlagen hatte, habe ich umgesetzt, ich habe die Berechnungen durchgeführt, ich habe die Arbeit geschrieben, ich habe meine Berichte verfasst, und die Berichte wurden bestätigt. – Ein ganz normales akademisches Verfahren.

Doch ich wusste auch, dass es Blödsinn war, so wie die meisten Arbeiten in diesem Bereich derzeit Blödsinn sind und so wie es sich bei den meisten akademischen Forschungsarbeiten, die Sie mit Ihren Steuern bezahlen, mit ziemlicher Sicherheit um Blödsinn handelt.

Das eigentliche Problem, das sich mir stellte, bestand meiner Meinung nach darin, dass ich mich selbst nur sehr schlecht belügen konnte. Natürlich habe ich versucht, mir selbst und jedem, der es hören wollte, einzureden, dass ich zumindest inoffiziell nebenbei jene Forschung betreiben würde, die ich für wertvoll hielt, für die ich aber kein Geld bekommen konnte, da sie sich zu weit vom Mainstream entfernt hatte.

Aber diese Forschung wurde nie betrieben, weil ich die anderen Dinge erledigen musste, für die ich eigentlich bezahlt wurde.

Dann ereignete sich COVID und hat mich daran erinnert, wie kurz das Leben in Wirklichkeit ist. Ich wechselte die Richtung und beantragte Mittel für eine Forschung, die ich betreiben wollte, von der ich aber befürchtete, dass sie nicht finanziert werden würde. Sie wurde nicht finanziert.

Und hier wären wir nun – auf YouTube. Wo ich darüber spreche, warum ich die Wissenschaft liebe und zugleich hasse.

Das klingt wie eine traurige Geschichte, und in gewisser Weise ist sie dies auch. Denn es ist die Geschichte eines jungen Wissenschaftlers, dessen Traum zerbrochen ist. Und es ist die Geschichte eines in die Jahre gekommenen Wissenschaftlers, der glaubt, dass er etwas hätte bewirken können, wenn er nicht gezwungen gewesen wäre, sich gegen fünf Gutachter durchzusetzen, die nicht seine Ansichten teilten – denn genau darauf läuft es letztendlich hinaus.

Es ist nicht etwa so, dass sie behaupten, dass mit deinem Vorschlag etwas nicht in Ordnung ist. Sie sind von diesem einfach nur nicht begeistert, weil er nicht ihrem derzeitigen Interessensschwerpunkt entspricht. Mein Problem bestand immer darin, dass ich einfach nicht dazu gepasst habe.

Aber es gibt ein Happy End, denn ich habe Sie gefunden. Eine Gemeinschaft von Menschen, die meine Interessen teilen. Nun, mehr oder weniger, oder warum zum Teufel haben Sie sich noch nicht mein Video über unbestimmte kausale Strukturen angesehen?

Die Abkehr von der akademischen Welt hin zur Selbstständigkeit war eine große Umstellung. Ich musste lernen, wie man Rechnungen schreibt. Ich musste ein Gewerbe anmelden. Ich habe einen Steuerberater, zwei Vertreter und ein zwölfköpfiges Team, das über die halbe Welt verteilt ist. Eine sehr steile Lernkurve.

Es wurden Fehler gemacht. Aber letztendlich fühlt sich das heute gut an, denn im Gegensatz zur akademischen Forschung handelt es sich hier um ein ehrliches Geschäft. Sie erhalten etwas von meinem Wissen. Ich erhalte etwas von Ihrer Aufmerksamkeit. Mir gefällt die Einfachheit dieser Beziehung.

Und es ermutigt mich darüber hinaus, dass es so viele Menschen gibt, die sich für diese obskuren Probleme in den Grundlagen der Physik interessieren. Allerdings glaube ich, dass Sie die Bedeutung unbestimmter kausaler Strukturen unterschätzen.

So, das ist also meine Geschichte – nicht mehr und nicht weniger.

Bitte gehen Sie nicht davon aus, dass meine Erfahrungen mit der akademischen Welt allgemeingültiger Natur sind oder dass ich dies behauptet hätte.

Ich kenne viele Menschen, die die akademische Welt so lieben, wie sie ist, und die der Meinung sind, dass sie ganz gut funktioniert. Ich gehöre einfach nicht zu diesen. Ich habe es nie getan und ich glaube auch nicht, dass ich es jemals tun werde.

Ich bin mir nicht so sicher, ob ich dieses Video wirklich posten soll. Es ist ein bisschen zu heftig, oder?