Eine politische Argumentation für eine rationale Herangehensweise an die Forschung zur Kalten Fusion

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Infinite Energy (Ausgabe 146, Juli/August 2019) 15-18
A Policy Argument for a Rational Approach to Cold Fusion Research
Steven B. Katinsky
katinsky@lenria.org
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Unzureichende Fortschritte

Die Forschung im Bereich der Kalten Fusion ist nicht in dem Maße vorangekommen, wie es die Bedeutung der von Martin Fleischmann und Stanley Pons 1989 der Welt präsentierten Entwicklungsergebnisse sowie die seitdem erfolgte umfangreiche Forschung gerechtfertigt hätten. Darüber hinaus steht dieser langsame Fortschritt in krassem Widerspruch zum weltweiten Erfordernis einer neuen Quelle sauberer Energie.

Gerade eben erst haben wir den 30. Jahrestag der Bekanntmachung ihrer Arbeit gewürdigt, ohne dass jene beiden grundlegenden Fragen in einer Weise beantwortet worden wären, die es der breiteren wissenschaftlichen Gemeinde ermöglicht hätte, die Fortführung der Untersuchungen zu unterstützen: Entsprechen die Beobachtungen von Überschusswärme der Realität? Und wenn ja, kann man das Phänomen nutzbar machen? Beide Fragen verlangen nach gesicherten Antworten.

Eine von Verantwortungsbewusstsein geprägte Analyse der Forschungsgeschichte der Kalten Fusion setzt voraus, dass ein Verständnis dafür entwickelt wird, warum es auf diesem Forschungsgebiet nur zu derart unzureichenden Fortschritten gekommen ist. Die Geschichte ist komplex, und eine vollständige Analyse würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Dennoch ermöglicht die Herausarbeitung der Kernpunkte eines solchen Verständnisses eine Orientierung für die weitere Vorgehensweise. In diesem Artikel werden einige Aspekte der Geschichte der Kalten Fusion sowie weitere historische Beispiele betrachtet, um als Teil einer politischen Argumentation zu dienen, die für eine unverzügliche und umfassende Forschungsanstrengung plädiert.

Auf der Suche nach einem Durchbruch

In den entscheidenden Momenten ihrer Geschichte hat es die menschliche Zivilisation immer wieder vermocht, entscheidende Durchbrüche zu erzielen. Ein historisches Beispiel hierfür stellt die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens dar, mit dessen Hilfe aus dem Stickstoff in der Luft Ammoniak erzeugt wird, welches der Herstellung von Stickstoffdünger dient. Diese Entwicklung hat es der Menschheit ermöglicht, Hungersnöte großen Ausmaßes abzuwenden. Im Ergebnis dieser Entwicklung lässt sich konstatieren, dass etwa die Hälfte allen Stickstoffs im menschlichen Gewebe aus dem Haber-Bosch-Verfahren stammt.

Anstatt die Kalte Fusion nun als eine atemberaubende Möglichkeit abzutun, die nicht in das konventionelle Verständnis von unserer natürlichen Umwelt passt, sollten wir uns vielmehr fragen: Was geschieht, wenn eine solche Chance wie die der Kalten Fusion nicht genutzt wird? Was ist, wenn die Wissenschaft uns hier keine Möglichkeiten eröffnet? Angesichts der Herausforderungen, zu deren Bewältigung die Weiterentwicklung und Kommerzialisierung der Kalten Fusion beitragen könnte, wie etwa des Klimawandels, wäre es sinnvoll, ein Szenario zu entwerfen, in dem die menschliche Zivilisation mit einer existenziellen Bedrohung konfrontiert ist und die Wissenschaft keine Möglichkeiten zu ihrer Überwindung vorzuweisen hat. Sich eine solche Situation vorzustellen, welche ja durchaus im Bereich des Möglichen liegt, sollte zu einer größeren Offenheit und Wertschätzung gegenüber kontroversen Ideen wie der der Kalten Fusion führen.

Hierzu meint Huw Price, Professor für Philosophie an der Universität Cambridge:

Jetzt solch eine neue Quelle kohlenstofffreier Energie zu verfehlen, könnte verhängnisvoll sein, und das lässt es ratsam erscheinen, auch Optionen mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit zu untersuchen ...

Seine Bemerkungen erschienen in einem Artikel der Financial Times, in welchem die Sichtweise des Google-Teams auf die Kalte Fusion kommentiert wird, wie sie kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde.

Die Ausführungen von Price bestärken die Auffassung, nach der fokussierte Anstrengungen unternommen werden müssen, um Antworten auf die beiden großen Fragen zu erhalten, die sich zu diesem Thema stellen. Diese Anstrengungen könnten solche Ansätze beinhalten wie das vollständige Durchlaufen des erkennbaren Parameterraums, das Durchforsten der historischen Literatur nach lohnenswerten Einstiegspunkten sowie die Analyse und Bewertung von Literatur und experimentellen Daten unter Verwendung maschineller Intelligenz, um Managern umsetzbare Analysen an die Hand zu geben.

Das Ziel eines solchen Unterfangens würde darin bestehen, entweder eine eindeutige Beweisführung bezüglich der Überschusswärme oder der Transmutationen zu erbringen, oder in Alternative dazu einen fundierten Konsens darüber zu erzielen, dass bei den Bemühungen keine bedeutsamen Chancen ausgelassen wurden. Selbst wenn sich am Ende eines solchen Unterfangens herausgestellt haben sollte, dass die Phänomene der Kalten Fusion auf systembedingte Fehler in den experimentellen Beobachtungen oder in den Berechnungen zurückzuführen sind, würde sich die Arbeit dennoch gelohnt haben.

Zur Durchführung eines solchen Vorhabens bedarf es einer Finanzierung, die (a) dem Potenzial dieses Zieles und (b) der Dringlichkeit seiner Verwirklichung entspricht.

Die fehlenden Faktoren bei der Forschung zur Kalten Fusion: Dringlichkeit und Kooperation

Zwei der bedeutendsten wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts wurden von Dringlichkeit vorangetrieben und in Kooperation verwirklicht. Das erste ist das Manhattan-Projekt, das zur Entwicklung der Atombombe führte. Das zweite ist das Programm zur bemannten Raumfahrt, das am Ende jenes Jahrzehnts zur Landung der USA auf dem Mond führte. Bei beiden handelte es sich um beispiellose menschliche Unternehmungen, die mit Dringlichkeit durchgeführt wurden und auf einer weitreichenden Kooperation beruhten.

Yuval Harari sagte in der PBS-Sendung „Amanpour & Company“ vom 4. Oktober 2018:

Wir sind die einzigen Säugetiere, die in einer sozialen Gemeinschaft leben und dabei in sehr, sehr großer Zahl und auf flexible Weise miteinander kooperieren können – und genau darin liegt schlicht und einfach das ganze Geheimnis unseres Erfolgs. Es geht hier nicht um irgendetwas auf der Ebene des Individuums, es geht um die Ebene des Kollektivs. Betrachtet man eine beliebige Errungenschaft der Menschheit von großer Tragweite, sei es der Flug zum Mond oder die Spaltung des Atoms oder der Bau der Pyramiden, so muss man feststellen, dass sie stets das Ergebnis einer weitreichenden Kooperation war. Und wir sind die einzigen Säugetiere, die in so großem Maßstab zusammenarbeiten können, denn allein wir sind dazu in der Lage, uns Geschichten auszudenken und an diese zu glauben.

In der Forschung zur Kalten Fusion spielten Dringlichkeit und umfangreiche Zusammenarbeit bislang keine signifikante Rolle. Das sollten sie aber tun. Bis zum heutigen Tag ist die systematische Forschung im Bereich der Kalten Fusion sowohl von ihrem Umfang als auch von ihrer Dauer her sehr begrenzt. Glücklicherweise gibt es da allerdings noch die Forschungsergebnisse, die von Hunderten von Wissenschaftlern in Dutzenden von Ländern über drei Jahrzehnte hinweg beigesteuert wurden und die nun als Wegweiser für eine zweite Welle fungieren können.

Hinsichtlich der Dringlichkeit waren die Auswirkungen des Klimawandels im Jahr 1989 noch überwiegend perspektivischer Natur, und eine Dringlichkeit spielte bei der Erforschung dieser Auswirkungen kaum eine Rolle. Heute, dreißig Jahre später, stellt sich diese Dringlichkeit in Bezug auf den Klimawandel erheblich schärfer dar und drängt uns auf einen Pfad, den wir viel früher hätten einschlagen sollen.

Die fehlende Vorstellungskraft

Unmittelbar, nachdem die USA die Entscheidung getroffen hatten, das Manhattan-Projekt in Angriff zu nehmen, gelang an der Universität von Chicago die erste von Menschen herbeigeführte nukleare Kettenreaktion. Der Chicago Pile-1 (CP-1), ein Entwicklungskernreaktor, der von Enrico Fermi und seinem Team konstruiert und betrieben wurde, erreichte in einem von ihnen am 12. Dezember 1942 durchgeführten Experiment einen kritischen Wert. Er lief für 4,5 Minuten bei etwa 0,5 Watt. Auch weitere Tests liefen meist bei 0,5 Watt.

Der erste vollwertige Kernreaktor, der dem CP-1 folgte, war der Hanford B. Dieser war für eine thermische Leistung von 250 000 000 Watt (250 MW) ausgelegt – eine Leistung, die mehr als 250 Millionen mal so groß war wie die des Testreaktors von Fermi. Der Bau von Hanford B begann bereits vier Monate, nachdem der CP-1 kritisch geworden war, und bereits 18 Monate später war sein Bau abgeschlossen. Der Hanford-B-Reaktor wurde später mit einer Leistung von über 2000 MW betrieben, also mit dem über Zweimilliardenfachen des Fermi-Testreaktors. Die einzige größere Modifikation bestand in der Erhöhung der Kühlwasserkapazität. Sowohl sein Design als auch sein Bau spiegelten in atemberaubender Weise wider, wozu die menschliche Vorstellungskraft in der Lage ist. Eine Chronologie mit ausgewählten Daten findet sich in Tabelle 1.

Tabelle 1. Chronologie der Anlage in Hanford

Datum Monate Ereignis
2. Dezember 1942 0 Erste anhaltende nukleare Kettenreaktion mit dem Chicago Pile-1.
16. Januar 1943 1,5 Maj. Gen. (Generalmajor) Leslie Groves entscheidet sich für Hanford als Standort für die Produktion von Pu.
März 1943 2 Baubeginn in Hanford.
26. September 1944 18 Der 100-B-Reaktor wird kritisch. Bewältigung einer Xe-135-Vergiftung.
26. Dezember 1944 2 Inbetriebnahme der T-Anlage, der ersten chemischen Trennanlage.
2. Februar 1945 1 Los Alamos erhält sein erstes Plutonium aus Hanford.
16. Juli 1945 6,5 Der Trinity-Test, die erste Atomexplosion.
Gesamt 31

Die Entwicklungsgeschichte vom CP-1 bis hin zum Hanford B zeigt beispielhaft, welche Möglichkeiten sich aus der Zusammenarbeit von Menschen bei der Bewältigung einer immensen wissenschaftlichen und industriellen Herausforderung ergeben, wenn diese mit einer enormen Dringlichkeit einhergeht.

Ein wirtschaftliches Argument für eine angemessene Forschung zur Kalten Fusion

Für den Fall, dass sie sich zu einer universellen Wärme- und Stromquelle entwickelt, kann der potenzielle Wert der durch die Kalte Fusion bereitgestellten Energie konservativ auf weltweit rund 2 Billionen US-Dollar pro Jahr veranschlagt werden. Dieser Wert entspricht einem Viertel des gesamten globalen Energieverbrauchs.

Von daher können die geschätzten Kosten für ein Forschungsprogramm zur endgültigen Beantwortung der beiden großen Fragen der Kalten Fusion – ob es sich bei dem Phänomen der Kalten Fusion um ein reales Phänomen handelt und ob es nutzbringend angewandt werden kann – großzügig mit einer Milliarde Dollar beziffert werden.

In dem Streben nach einem Durchbruch ist es erforderlich, Risiken einzugehen. Zur Modellierung der Wahrscheinlichkeit von unterschiedlichen Ergebnissen kommen in Wissenschaft und Mathematik oft sogenannte Monte-Carlo-Simulationen zur Anwendung. In einem solchen gedanklichen Experiment wird das Risiko, das mit einer Wette verbunden ist, auf die gleiche Art und Weise bewertet, wie es ein professioneller Glücksspieler anstellen würde, jedoch ohne auf Monte Carlo oder vergleichbare Verfahren zurückgreifen zu können.

Dazu muss zunächst definiert werden, was einen Wettgewinn ausmacht. Zu gewinnen bedeutet in unserem Fall, aus der Kalten Fusion über eine bestimmte Laufzeit einen jährlichen Energiegewinn in Höhe von 2 Billionen Dollar zu erzielen. Der zeitliche Rahmen für den Gewinn soll in dieser Analyse aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf zehn Jahre festgelegt werden. Ein Gewinn dieser Wette entspricht also 2 Billionen Dollar an jährlichem Energiegewinn über einen Zeitraum von zehn Jahren, also insgesamt 20 Billionen Dollar. Der Wetteinsatz, der für eine Teilnahme an der Wette aufgebracht werden muss, besteht in der Finanzierung eines systematischen, vordringlichen und zielgerichteten Forschungsprogramms in Höhe von 1 Milliarde Dollar.

Die Berechnung der Gewinnschwelle wird verständlicher, wenn man in der Wette die Zahl von 20 Billionen mit der von 20 000 Milliarden gleichsetzt. Um bei dieser Wette die Gewinnschwelle zu erreichen, muss die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich bei der Kalten Fusion um ein reales Phänomen handelt, das tatsächlich zur Anwendung gebracht werden kann, lediglich 1/20 000 betragen (bei einem Einsatz von einer Milliarde Dollar mit einem Gewinn in Höhe von 20 Milliarden Dollar). Somit führt jedes Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 0,00005 bzw. 0,005 Prozent bzw. fünf Tausendstel eines Prozentes dazu, dass die Wette gewonnen wird.

Um die Wette noch einmal zu verdeutlichen: Beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Kalte Fusion real ist und als universelle Energiequelle nutzbar gemacht werden kann, nur 1 Prozent, erweist sich die in Erwägung gezogene 1-Milliarde-Dollar-Wette als unschlagbarer Selbstläufer. Ein professioneller Glücksspieler mit entsprechendem Kapital würde eine solche Wette den ganzen Tag lang abschließen und nicht den geringsten Gedanken daran verschwenden, ob er in irgendeinem Fall verlieren könnte. Die Rendite dieser Wette läge bei einer Erfolgswahrscheinlichkeit von einem Prozent bei 200 zu 1.

Beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich in den Experimenten zur Kalten Fusion bei der Beobachtung von Überschusswärme um einen realen Effekt handelt, 60 oder 70 Prozent – ein Wert, den viele Experimentalphysiker auf diesem Gebiet für eine bescheidene Schätzung halten würden – und liegt des Weiteren die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Effekt nutzbar gemacht werden kann, bei 50 Prozent, dann reichen die Argumente des Wettspielers für eine Investition in Höhe von einer Milliarde Dollar in ein solches Forschungsprogramm aus politischer Sicht mehr als aus. Die Rendite würde in diesem Fall mehr als 6000 zu 1 betragen.

Ungeachtet der Milliarden und Billionen an wirtschaftlichen Werten, die hier ins Auge gefasst werden und für sich genommen riesige und einschüchternde Zahlen darstellen, bleibt das Verhältnis zwischen Risiko und Ertrag stets ein relatives. Auch in diesem großen Maßstab gelten weiterhin die Gesetze der Wahrscheinlichkeit.

Es muss dabei beachtet werden, dass die Risiko-Ertrags-Analyse bei diesem gedanklichen Experiment nicht den Wert jener wissenschaftlichen Entwicklungen berücksichtigt, die sich zusätzlich ergeben könnten und dem primären Zweck der Forschungsanstrengungen nachgeordnet sind. Ebenso wenig berücksichtigt die Analyse den voraussichtlichen wirtschaftlichen Nutzen einer Eindämmung des Klimawandels, der sich daraus ergeben könnte, dass die Kalte Fusion die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung in erheblichem Umfang erfolgreich verdrängen würde. Dieser Nutzen, übersetzt in wirtschaftliche Begriffe, könnte den der Energie weit in den Schatten stellen.

Die Lernrate – Ein Ansatz für ein beschleunigtes Forschungsprogramm

Der Zusammenhang zwischen den Fortschritten in der Forschung zur Kalten Fusion und der Versuchsdauer von Elektrolysesystemen auf der Basis von Pd/D2O, die bislang maßgeblich zur Erforschung der Kalten Fusion eingesetzt wurden, wird möglicherweise unterschätzt. Ein typisches Experiment zur Kalten Fusion mit einem Pd/D2O-Elektrolysesystem läuft über einen Zeitraum von 30 Tagen oder länger. Das Begreifen des Zusammenhangs zwischen der Zeitskala monatelanger Experimente mit einer geringen Reproduzierbarkeit und dem aktuellen Forschungsstand nach 30 Jahren Arbeit einer Forschergemeinschaft könnte helfen, Erkenntnisse zur Gestaltung effizienterer und produktiverer Pfade zu gewinnen – hin zu zukünftigen Fortschritten.

Bei der modernen kommerziellen Halbleiterprozessentwicklung wird der systematische und schrittweise Ansatz zur Lösung anspruchsvoller Material- und Prozessprobleme in den Unternehmen, die diese komplexen und anspruchsvollen Komponenten herstellen, bestimmt von der Idee der Lernrate (Rate of Learning - ROL):

    ROL = ΔK / ΔT
    K = Wissen, T = Zeit

In der Quintessenz geht es darum, die höchstmögliche ROL durch die Maximierung von ΔK und die Minimierung von ΔT zu erreichen.

Beispiele:

Ausgangswerte Wissen = 100 Zeit = 20 Lernrate = 5 1 ×
Wissen = 100 Zeit = 10↓ Lernrate = 10 2 ×
Wissen = 200↑ Zeit = 20 Lernrate = 10 2 ×
Wissen = 200↑ Zeit = 10↓ Lernrate = 20 4 ×

Anhand der obigen Beispiele lässt sich erkennen, dass sich die Lernrate bei einer Verdopplung des Wissens und einer Halbierung der Zeit auf das Vierfache steigert.

Dieses Konstrukt kann die Grundlage für ein weiteres gedankliches Experiment liefern, mit dem das Konzept der Lernrate auf die historische und die zukünftige Forschung zur Kalten Fusion angewendet wird. In diesem Gedankenexperiment sollen drei Kernkomponenten der elektrolytischen Kaltfusionsforschung analysiert werden: 1) die Reproduzierbarkeit, 2) die Dauer bis zum Erreichen der Aktivierung sowie 3) parallel dazu durchgeführte Experimente.

Archetypische elektrolytische Kaltfusionsexperimente mit Pd-Kathoden laufen über einen Zeitraum von 30 Tagen oder länger. Die auffälligste Grafik aus den Experimenten von Fleischmann und Pons zeigte einen Hitzeausbruch nach 3,1 × 106 Sekunden, also nach rund 36 Tagen (siehe Abbildung 1).[1]

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Abbildung 1. Frühzeitige Übertemperaturauslenkung (Pons & Fleischmann).[1]

Der Autor ist Mitglied im Team des LEAP-Programms, einem von LENRIA betriebenen experimentellen Programm, welches im LENR-Labor von David Nagel an der George Washington University angesiedelt ist und durch das Anthropocene Institute unterstützt wird. Wir arbeiten daran, die Palladium-Bor-Experimente von Dr. Melvin Miles vom Naval Air Warfare Center in China Lake zu replizieren, bei denen jene PdB-Legierungen (Palladium-Doped Boron) verwendet wurden, die von Dr. Ashraf Imam vom Naval Research Lab in Washington, D.C. entwickelt wurden.

Sowohl bei den von Mel Miles durchgeführten PdB-Experimenten in China Lake, als auch bei denen der NHE in Japan, wo er als Gastwissenschaftler tätig war, sowie bei einem späteren Experiment in Ridgecrest in Kalifornien wurde in neun von zehn Fällen Überschusswärme beobachtet (bei der einzigen nicht funktionierenden Kathode waren physische Defekte erkennbar). Dies stellt die höchste bekannte Rate von Reproduzierbarkeit im Pd oder in einer Pd-Legierung bei elektrolytischen Experimenten zur Kalten Fusion dar und soll in dieser Übung als Beispiel für eine Reproduzierbarkeit herangezogen werden. Siehe dazu Abbildung 2.[2][3] Bei einigen PdB-Experimenten ergaben sich bereits nach ein bis drei Tagen erste Anzeichen für einen Wärmeüberschuss.

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Abbildung 2. Palladium aus unterschiedlichen Quellen. Basierend auf einer Tabelle von Jed Rothwell[2], extrapoliert von Miles[3], mit einer Ergänzung durch den Autor.

Viele der Experimentatoren, die elektrolytische Experimente auf der Basis von Pd-D2O durchgeführt haben, entschieden sich gegen die gleichzeitige Durchführung mehrerer Experimente oder waren einfach nicht dazu in der Lage. Die zusätzlichen Kosten solcher Experimente lagen oft jenseits ihres Budgets. Die Durchführung paralleler Experimente kann jedoch einen wesentlichen Beitrag zur Maximierung der Lernrate leisten. Im Falle einer niedrigen Reproduzierbarkeit verringert die Durchführung mehrerer gleichzeitiger Experimente den Zeitaufwand. Zudem können auf diese Weise Materialvarianten oder Variationen einer Versuchsanordnung oder eines Versuchsablaufes sehr viel schneller erprobt werden. Ein vordringliches, ausreichend finanziertes und systematisches Forschungsprogramm sollte Dutzende oder gar Hunderte von Experimentatoren sowie Hunderte von Experimenten umfassen, die allesamt zeitgleich durchgeführt werden. Für das hier vorgestellte gedankliche Experiment wurden als Ausgangsbasis zehn parallele Experimente festgelegt.

In Tabelle 2 werden typische historische Parameter wie die Dauer bis zur Aktivierung, die Reproduzierbarkeit und die Anzahl paralleler Experimente mit prognostizierten Parametern verglichen.

Tabelle 2. Historische Parameter im Vergleich mit prognostizierten Parametern.

Parameter Historisch Prognose Steigerung
Zeit bis Aktivierung 30 Tage und mehr 1 bis 3 Tage 10-fach
Reproduzierbarkeit 1 von 10 9 von 10 9-fach
Parallele Experimente 1 10 10-fach
Gesamt 900-fach

Erhöht man die Leistung jedes einzelnen Parameters, wie z. B. die Dauer bis zur Aktivierung, die Reproduzierbarkeit und die Anzahl der parallelen Experimente, so erhält man im Ergebnis konzeptionsbedingt nicht etwa die Summe der einzelnen Leistungssteigerungen, sondern das Produkt aus der Multiplikation der einzelnen Parameter. Die mögliche Steigerung der Lernrate ist offensichtlich.

Eine Frage, die sich aus diesem gedanklichen Experiment ergibt, jedoch nicht beantwortet werden kann, besteht darin, ob die Verfügbarkeit eines Experiments, mit dem die Dauer von mindestens 30 Tagen bis zur Aktivierung auf ein bis drei Tage reduziert werden kann, den bis zum heutigen Tag für die Forschung aufgewendeten Zeitraum von 30 Jahren auf einen solchen von drei Jahren reduzieren könnte? Gleichermaßen stellt sich die Frage, ob der Fortschritt auf das Neunfache gesteigert werden kann, wenn die Forscher in der Lage wären, die ursprüngliche Version der Experimente zur Kalten Fusion in neun anstatt in weniger als einem von zehn Fällen zu replizieren, indem sie sich auf die vielversprechendsten Materialien und Techniken konzentrieren. Desweiteren ist die Frage zu stellen, ob unser Verständnis von diesen Materialien und Systemen heute schon zehnmal so weit fortgeschritten sein könnte, wenn jeder Forscher oder jede Forschungsgruppe zehn parallele sich wiederholende Experimente durchgeführt hätte anstelle eines einzigen. Und vor allem: Wie könnte der Gesamteffekt einer Kombination dieser Faktoren aussehen?

Und wenn es uns gelungen wäre, unser Lernen zu beschleunigen, hätten wir dann vielleicht schon längst herausgefunden, dass die ursprünglichen Experimente von Pons und Fleischmann in Sachen Beobachtung und Berechnung irgendeinen unerwarteten endemischen Fehler aufweisen, oder wären wir stattdessen mittlerweile im Besitz einer akzeptierten Theorie und eines bedeutenden Fachwissens hinsichtlich der Entwicklung von Energie- und anderen Systemen, die auf dem so erlangten Wissen basieren? Besäßen wir vielleicht sogar schon eine Vorstellung von den Instrumenten, mit denen die widernatürliche Anhäufung von Kohlendioxid in unserer Atmosphäre zurückgedrängt werden kann?

Die Beschleunigung des Lernfortschritts, die dieses gedankliche Experiment erwarten lässt, dürfte sich wahrscheinlich nicht im vollen Umfang verwirklichen lassen. Es muss auch eingeräumt werden, dass der Ansatz dieses Gedankenexperiments noch unvollkommen ist. Nichtsdestotrotz besteht die Möglichkeit, unsere Herangehensweise an die Erforschung der Kalten Fusion zu revidieren und die Geschwindigkeit ihres Fortschrittes zügig zu erhöhen. Darüber hinaus berücksichtigen die oben skizzierten Szenarien nicht den erhöhten experimentellen Durchsatz, der dadurch erreicht werden könnte, dass aufgrund der zu erwartenden kürzeren Aktivierungszeiten (und der Möglichkeit, neue Experimente zu starten) nicht funktionierende Experimente schon sehr viel früher abgebrochen werden können. Außerdem berücksichtigen sie nicht das Wissen, das dadurch gewonnen wird, dass man systematisch eine weitaus größere Zahl von Materialien und Systemen beschreibt, die in nicht funktionierenden und funktionierenden Experimenten zum Einsatz kamen. Die dabei entstehende Datenbank mit den darin gespeicherten Erkenntnissen könnte sich zu einer bahnbrechenden Ressource entwickeln, die an dieser Stelle nicht weiter quantifiziert werden soll.

Der Weg in die Zukunft

Mit diesem Artikel wird ein Argument vorgebracht, das auf ein vordringliches, kooperatives, beschleunigtes und wirtschaftlich vernünftiges Programm drängt, um die Frage zu klären, ob es sich bei dem von Martin Fleischmann und Stanley Pons 1989 entdeckten Phänomen der Kalten Fusion um einen realen Effekt handelt und inwieweit dieser nutzbringend zur Anwendung gebracht werden kann. Die Schlussfolgerung dieses Artikels besteht darin, dass ein organisiertes, systematisches, nachhaltiges, fokussiertes, geleitetes und ausreichend finanziertes Forschungsprogramm zur Kalten Fusion längst überfällig ist und zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen werden sollte.

Der Druck, dem sich die menschliche Zivilisation ausgesetzt sieht, wie beispielsweise durch den Klimawandel, die Zunahme des Pro-Kopf-Verbrauches an Energie, die Abholzung der Wälder, den Zugang zu Trinkwasser, das Bevölkerungswachstum sowie durch weitere Herausforderungen, stellt ein Problem dar, das durch eine kostengünstige und zugleich umweltfreundliche Energiequelle wie die der Kalten Fusion entschärft werden könnte, wenn diese denn erfolgreich zum Einsatz gebracht werden würde.

Die Entscheidungsträger in der Politik sollten daher große Wachsamkeit walten lassen, um auf keinen Fall die Gelegenheit zu verpassen, die ein Durchbruch bieten könnte, der sich genau zum rechten Zeitpunkt einstellt. Das gilt selbst dann, wenn diese sich in einer Form präsentiert, die Huw Price als „Option von niederer Wahrscheinlichkeit“ bezeichnet hat, die in Wirklichkeit aber eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen könnte. Yuval Harari hat uns aufgezeigt, dass das Erreichen der höchsten Stufe komplexer menschlicher Leistungen von unserer Fähigkeit abhängt, im Kollektiv und auf flexible Weise zusammenzuarbeiten, und dass dies nur deshalb möglich ist, weil wir in der Lage sind, fantastische Geschichten zu erschaffen und an diese zu glauben. Und die Geschichte liefert die Erfahrung, dass vordringliche wissenschaftliche und technische Herausforderungen wie die Spaltung des Atoms oder der Flug zum Mond nicht zuletzt durch atemberaubende Fantasiesprünge zustande gekommen sind.

Und wir müssen uns selbst die Frage stellen: Sind wir als Nation, oder noch weiter gefasst als Zivilisation, gewillt, eine ungewisse, jedoch wohldurchdachte Wette einzugehen, die dem wirtschaftlichen Wert von gerade einmal zwei A380-Jets der Firma AirBus entspricht, um die Gelegenheit eines Durchbruchs zu ergreifen, welcher die kommende Epoche der menschlichen Entwicklung prägen könnte und sich beizeiten bezahlt machen würde, indem er verhindert, dass unsere Biosphäre irreversible Schäden erleidet? Es ist höchste Zeit, dass die politischen Entscheidungsträger ein fundiertes Forschungsprogramm zur Kalten Fusion beschließen und entsprechend finanzieren.

Im nächsten Artikel präsentiert David Nagel mögliche kurzfristige Maßnahmen zur umfassenden Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Kalten Fusion.

Referenzen

  1. 1,0 1,1 Fleischmann, M., Pons, S., Anderson, M. W., Li, L.J. and Hawkins, M. 1990. „Calorimetry of the Palladium-deuterium-heavy Water System“, J. Electroanal. Chem., 287, lenr-canr.org/acrobat/Fleischmancalorimetr.pdf
  2. 2,0 2,1 Rothwell, J. 1997. „Introduction to the Cold Fusion Experiments of Dr. Melvin Miles“, Infinite Energy, 3, 15/16, 27-34; lenr-canr.org/acrobat/RothwellJintroducti.pdf (updated 2004).
  3. 3,0 3,1 Miles, M. H., Bush, B. F. and Johnson, K. B. 1996. „Anomalous Effects in Deuterated Systems“, Naval Air Warfare Center Weapons Division, published in Infinite Energy, 3, 15/16, 35-59; lenr-canr.org/acrobat/MilesManomalousea.pdf

Über den Autor

Steven B. Katinsky ist zusammen mit David J. Nagel Mitgründer von LENRIA und Vorsitzender des ICCF21. Seit 2012 setzt er sich für die LENR-Forschung ein.